Sonntag

"Happy Melancholy" - Eine multi-mediale Einführung in die Renaissance mit Shakespeare und Dowland

(Wo die hier zitierten Passagen online zu finden sind, steht am Ende dieses Textes)

Neulich hat der Blogger für eine kleinen Performance das Thema Renaissance multi-medial aufbereitet.

Mit der Renaissance verabschiedet sich Europa von der alten Götter-Glaubenswelt der Antike, später auch von der allein-seligmachenden römisch-katholischen Kirche. Jetzt steht der Mensch im Mittelpunkt, seine Freiheit, sein Wissen und Können. Astronomie, Mathematik, Navigation treten in den Vordergrund, statt bloßes Zuschauen bei der Messe. Das Ich emanzipiert sich von der päpstlichen Heteronomie.

Aber wie so oft: Freiheit hat auch ihren Preis. Auch der emanzipierteste Renaissance-Mensch erkennt: Freiheit macht auch einsam. Armut, Erfolglosigkeit, Krankheit, Tod werden trotz Freiheit nicht weniger. Nicht von ungefähr ist deshalb die Renaissance auch das Zeitalter der Melancholie, der Schwermut, der Tränen. 

John Dowland, der größte Lauten-Komponist der Renaissance hat mehrere seiner Kompositionen mit demselben Titel “Lachrimae” versehen. Melancholisch nimmt der Renaissance-Mensch das Auf und Ab des Schicksals wahr, die Unsicherheit und Ungewißheit. 
Bezeichnenderweise wird Fortuna auf dem rollenden Rad ein wichtiges Renaissance-Symbol: Die launische Glücksgöttin, die dem einem zulächelt und den anderen in die Tiefe stürzen lässt (deshalb spielte ich bei meiner performance auch die Komposition “Fortune” von Dowland).

Jedoch: Die Renaissance war zwar melancholisch, aber nicht nihilistisch. Dowland nannte eines seiner Stücke “Happy Melancholy” (!) und konnte auch schelmisch Kompositionen wie “Semper Dowland, semper dolens” oder “Mr. Dowland´s Midnight” titeln. Und in der Dramaturgie Shakespeare spielt der tapfere Blick auf das rätselhafte Up and Down des Glücks eine große Rolle, durch Edgar (in King Lear) zusammengefasst:
“Der Mensch kommt auf die Welt, er muß von hinnen, Bereitsein ist alles”. 




Shakespeare ist mein Lieblingsdichter, weil er wie kein anderer der Meister der Dramaturgie ist. Niemand hat wie er Dramen dermaßen kunstvoll verfasst, dass es meinem unvergessenen Anglistik-Professor Viebrock mit überzeugender Logik geland, eine vollständige Interpretation des ganzen Richard III. unter den einen Motiv-Satz stellen konnte. “Die Erdbeeren im Garten des Bischofs zu Ely”. 
Und keiner wie Shakespeare hat so umfassend sämtliche Facetten des menschlichen Lebens im Kosmos seiner Dramen erfasst: Liebe und Tod (Romeo and Juliet), die Hohlheit der Macht (Richard II), abgrundtiefe Bosheit (Lady Macbeth und Jago), unzerstörbare Treue (Kent und Horatio), so viel Tränen (“Othello”) und so viel Lachen (Falstaff) und in meinem Lieblingsstück  “The Winter´s Tale” sogar alles auf einmal (“A play which starts as a tragedy and ends as a comedy”). 
Shakespeare hat ganz tief in die Abgründe des Menschen geschaut, aber auch einen Blick für seinen Edelmut gehabt. Er hat die Machtgier der Menschen durchschaut, ihre Lügen und Bosheit entlarvt und ihre Feigheit demaskiert; aber auch menschlicher Treue und Wahrhaftigkeit dichterische Denkmäler gesetzt.

Als ich mich auf meine Präsentation vorbereitete, wurde mir - wieder einmal - bewußt, dass mir in jeder Lebenslage immer Passagen aus der Welt Shakespeares einfallen, die - je nach dem - mich  verständnisvoll nicken lassen (“deja lu”), mir helfen die Abgründe der Menschen zu durchschauen oder mich im Leid trösten. Zum Beispiel:

“Life is but a walking shadow. It is a story told by an idiot, full of sound and fury, signifying nothing” (Macbeth)

So macht das Grübeln Feige aus uns allen” (Hamlet)

Der bessere Teil der Tapferkeit ist die Vorsicht” (Falstaff)

Lehr´ uns einsehen, dass Unbesonnenheit uns manchmal besser dient, wenn tiefe Pläne scheitern” (Hamlet)

“Einen solch treuen Freund will ich hegen in des Herzens Grunde, ja in des Herzens Herzen” (Hamlet)

“Ich kenn euch all´ und dien´ euch halt ´ne Weile” (Prince Henry)

Für die Präsentation hatte ich folgendes Profil arrangiert:

  • Dowland: What if a Day or a Month or a Year
  • Macbeth: V.Aufzug, 5. Szene “Tomorrow and tomorrow and tomorrow” (Focus: Verzweiflung)
  • Dowland: Fortune
  • Hamlet und Horatio: III. Aufzug, 2. Szene (Focus: Freundschaft)
  • Dowland: Bockington´s Pound
  • Richard II.: Dritter Aufzug, 2. Szene (Focus: Die Hohlheit der Macht)
  • Gitarre: “Dowland´s Midnight”
  • Henry IV, Erster Teil, Zweiter Aufzug, 4. Szene

Shakespeare hat die Musik Dowlands und gute Dichtkunst als “Sister and Brother” charakterisiert und vom “Heavenly Touch” der Lautenstücke Dowlands gesprochen.

In “What If a Day” komponiert Dowland das Renaissance-Thema des blinden, unbegreiflichen Schicksals: In einem Tag kann alles Glück zu Ende gehen. Das der Musik zugrunde liegenden Gedicht spricht es aus: “All our joys are but toys” - “Time is ever turning” - “Secret fates guide our states”.


Viel härter als diese melancholischen Gedanken reflektiert Macbeth über Leben und Tod:

“All unsere vergangenen Tage führten Narren den Pfad zum staubigen Tod”
“Leben ist nur ein wandelnder Schatten”
“Leben ist bloß ein Roman, erzählt von einem Idioten, voller Lärm und Zorn, ohne Bedeutung”

Aber genau derselbe Dichter, der hier die Sinnlosigkeit des Lebens mit so schonungslosen Worten bloßlegt, preist wiederum mit unvergesslichen Worten Treue,  Freundschaft, Standhaftigkeit, als Hamlet für kurze Zeit den höfischen Habitus des Prinzen ablegt und sich seinem treusten Freund Horatio offenbart:


“Dich hab ich auserkoren. Denn du warst als littest du nichts, indem du alles littest. Ein Mann, der Pech und Glück vom Schicksal mit gleichem Dank genommen. Gesegnet, wes Blut und Urteil sich so gut vermischt, daß er zur Pfeife nicht Fortuna dient, den Ton zu spielen, den ihr Finger greift. Gebt mir den Mann, den seine Leidenschaft nicht macht zum Sklaven, und ich will ihn hegen im Herzensgrund, ja in des Herzens Herzen, wie ich dich hege”.

Für einen kurzen Augenblick lassen uns Hamlet und Shakespeare die Tiefen einer wahren Freundschaft erkennen und die Unerschütterlichkeit eines standhaften Herzens. Dann - “Schon zu viel hiervon” - wird Hamlet wieder der Prinz, dem seine Rolle am Hofe unerbittlich zudiktiert ist und die mit seinem Tod enden wird.

Als dritten Text hatte ich eine (Selbst)Reflexion Richard II. ausgewählt, als dieser am Ende aller Macht angelangt ist, keine Krone mehr trägt und nur noch die Gewißheit des Todes vor Augen hat. Ein paar treue Gefährten halten noch zu ihm, verehren ihn noch als früheren König. Aber denen öffnet Ex-King Richard jetzt die Augen:

“Im hohlen Reifen, der eines Königs sterblich Haupt umgibt, hält seinen Hof der Tod. Verhöhnt des Königs Staat und grinst zu seinem Pomp. Lässt ihn ein Weilchen, einen kleinen Auftritt den Herrscher spielen, drohn, mit Blicken töten. Flösst einen eitlen Selbstbetrug ihm ein, als wär sein Fleisch ein ewiges Eisen. Und so kommt er zuletzt, gut gelaunt, und bohrt mit kleiner Nadel die feste Mauer an, und - König, gute Nacht”.

Dies ist der Augenblick, in dem sich Richard vom König zum Menschen wandelt und sich mit dieser Selbsterkenntnis zu seinen Freunden wendet:

Werft eure Achtung ab. Ihr irrtet euch die ganze Zeit in mir: Wie ihr, leb ich von Brot, ich fühle Mangel, ich schmecke Kummer und bedarf der Freunde. So unterworfen nun, wie könnt ihr sagen, dass ich König bin”

Und nach “Mr. Dowland´s Midnight” war es in der Performance dann an der Zeit, eine der köstlichsten humoristischen Szenen aus Shakespeare´s Königsdramen mit verteilten Rollen zu lesen.


Referenzen:

  • Die wunderbare Madrigale “What If I Never Speed” von John Dowland kann frau/man unter
http://www.youtube.com/watch?v=VvLMLZSqPxc&feature=email hören
  • Die in diesem Text präsentierten Shakespeare-Texte kann frau/man unter
https://docs.google.com/document/pub?id=1AvFYtxJjigNYRQx_phRUnjoaoqnH8ELAPIqmjsg6TRE
          nachlesen

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