Freitag

"Haben oder Sein" - Erich Fromms Alternative im Schachspiel angewandt

Im Diagramm zog der Blogger - mit Schwarz - zum Schluß Bf5xg4, wonach Weiß richtigerweise aufgab = es droht Matt in zwei Zügen. 


Diese Partie widme ich meinem Schachfreund Wieland-Werner. In ihr kommen eigentlich alle prägnanten Lehrsätze von Siegbert Tarrasch vor:

  • "Das muss man eben sehen"
  • "Wenn du einen guten Zug siehst: überlege, ob es noch einen besseren geben könnte"
  • "Bei ausgeglichenem Kräfteverhältnis spiele man ruhig weiter"
  • "Die Krönung des Schachspiels ist der Sieg des Nachdenkens über den Materialismus"


So auch im nachfolgenden Partieverlauf:
Die ersten 18 Züge ergeben völligen Gleichstand. Dann gibt Weiß einem Bauerngewinn den Vorzug und lässt den schwarzen Turm die g-Linie einnehmen. Im 20. Zug opfert Schwarz seinen Läufer um in Positionsvorteil zu kommen. Im 22. Zug hat Schwarz bereits alle schweren Figuren gegen die weiße, schon sehr löchrige Rochadestellung in Angriff gebracht - also höchste Alarmstufe. 


Aber Weiß - unverdrossen materialistisch denkend - freut sich über den Läufergewinn, spekuliert vielleicht sogar auf einen Freibauern...während Schwarz konsequent die Bauernstellung vor dem König zerlegt. "Tiefpunkt" des Weißen Denkens - mein Gegner möge es mir nicht übel nehmen = sein 24. Zug: In einer Situation, wo Weiß nun wirklich ALLE Kräfte zur Verteidigung aktivieren müsste, geht die weiße Dame nochmal munter auf Bauernfang aus, als ob dies nun gerade "dran" sei. DAS kann nicht gut gehen. Soviel "Haben-Denken" (in der Sprache von Erich Fromm) wird bestraft. 


Schwarz aktiviert alle seine schweren Figuren und schon zwei Züge später muss Weiß seine Dame gegen einen Turm opfern, um ein bereits zum dem Zeitpunkt drohendes Matt zu verhindern. Aber auch so wird die drohende Katastrophe nur um fünf Züge aufgeschoben. 


Letzlich lässt sich die ganze Partie in zwei "Spielphilosophien" zusammenfassen:


Einen Läufer und einen Bauer schlagen, d.h.: mehr "Haben" wollen (so dachte Weiß) oder positionell denken = sich absichtlich einen Bauern wegnehmen zu lassen, um dadurch die g-Linie zu besetzen und die schweren Figuren gut in Richtung weiße Königsstellung zu positionieren (so dachte Schwarz). 


Für Tarrasch wäre die Entscheidung zwischen beiden Optionen klar gewesen. Für den Blogger auch. 

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