Liebe Friedensinteressierte,
das nachfolgende Interview mit Frank-Walter Steinmeier zeigt, dass es
offensichtlich im Vorfeld des von Präsident Sarkozy forciertes Krieges
gegen Gaddafi nichtmilitärische Alternativen gab, die nicht gewollt waren
oder versäumt wurden.
Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel wirft den Alliierten Heuchelei
beim Libyeneinsatz vor.
Jürgen Wagner von der Informationsstelle Militarisierung in Tübingen
hat in einer Studie u.a. das westliche Interesse am libyschen Öl
untersucht.
Libyen ist auch wegen der Flüchtlingsfrage für Europa von erheblicher
Bedeutung, wegen des gewaltigen Trinkwasserprojektes
"Greant-Man-Made-River- Projekt" für den gesamten nordafrikanischen
Ulrich Ladurner stellt die u.a. Frage, warum die Nato in Libyen, nicht
aber z.B. in Bahrain interveniert - und entlarvt die doppelten westlichen
Standards.
"Der Spiegel" spricht in einem Artikel von einem "Werbefeldzug" für
die Rüstungsindustrie und beziffert erste Kostenschätzungen des
Einsatzes.
Alle kritischen Beiträge beantworten noch nicht die Frage, wie eine
schutzlose Bevölkerung gegen Massaker geschützt werden kann.
Ich habe dazu in meinem Beitrag "Krieg ist keine Lösung - Alternativen
sind möglich"
etwas ausführlicher Stellung genommen - ohne Anspruch, alle
diesbezüglichen Fragen beantworten zu können.
Mit freundlichen Grüßen
Clemens Ronnefeldt Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig
des Internationalen Versöhnungsbundes
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Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.3.2011, S. 4
"Man muss zu seinen Worten stehen" Frank-Walter Steinmeier über den
Einsatz gegen Gaddafi, eigene Fehler und verlorene Identitäten
HERR STEINMEIER, DEUTSCHLAND HAT SICH BEI DER ENTSCHEIDUNG ZU LIBYEN
IM UN- SICHERHEITSRAT ENTHALTEN. SIE HABEN DAS ZUERST ALS AKZEPTABEL
BEZEICHNET, DANN VON WAHLKAMPFTAKTIK GESPROCHEN. WAR DIE ENTSCHEIDUNG
NUN FALSCH ODER RICHTIG?
Ich habe das Zögern der Bundesregierung als verständlich bezeichnet,
weil ich skeptisch bin, ob dieser Militäreinsatz alternativlos und gut
vorbereitet war. Ich habe in meinem Leben noch nie eine Entscheidung
über einen Militäreinsatz der internationalen Gemeinschaft gesehen,
der so sehr von nationalen Motiven eines Staates getragen und
getrieben war wie dieser.
SIE SPRECHEN VON FRANKREICH.
Frankreich, das intensivste Beziehungen zu Libyen und zu Gaddafi
unterhielt, hat das Bedürfnis gehabt, das eigene Tun mit diesem
Militäreinsatz zu bemänteln. Das waren keine guten Voraussetzungen für
eine Entscheidung. Und es gibt Anlass zu größter Sorge, dass es so gut
wie keine Vorplanung gab. Die Ziele des Einsatzes sind bis heute
unklar. Und sechs Tage nach Beginn des Einsatzes hält der Streit über
die Kommandostrukturen an.
DAS HEISST: DIE REGIERUNG HATTE RECHT MIT IHRER ENTHALTUNG.
Nach meiner Überzeugung schauen wir zu sehr auf den Abstimmungsvorgang
im UN-Sicherheitrat und nicht auf das, was die Regierung im Vorfeld
versäumt hat: die Bündnispartner an sich zu binden, um Druck auf
Libyen zu erhöhen, die Geldströme an Libyen und den Gaddafi-Clan zu
kappen, die bis zum heutigen Tage fließen. Es hätte die Möglichkeit
gegeben, den Franzosen die Initiative aus der Hand zu nehmen, indem
man mit einigen arabischen Staaten und den Amerikanern gesagt hätte,
wir beginnen mit einer Seeblockade, die verhindert, dass Schiffe mit
Öl und Gas das Land verlassen. Der große Fehler der Regierung liegt
darin, dass sie sich um Wahlkampf gekümmert hat und gehofft hat, dass
die Alliierten schon irgenwie auf ihrer Seite stehen würden, statt
aktiv zu werden, um eine solche Abstimmung im Sicherheitsrat zu
vermeiden.
MAN HÄTTE ALSO DEN SICHERHEITSRATSBESCHLUSS VERHINDERN KÖNNEN?
Es ist richtig, dass der Sicherheitsrat gehandelt hat. Aber es hätte
auch einen anderen Beschluss geben können. Bis zum Schluss gab es
Zweifel bei den Amerikanern. Auch ihnen wären verschärfte Sanktionen
lieber gewesen. Aber es hat eben an Einsatz gefehlt. Oder ist Ihnen
eine Initiative der Bundeskanzlerin in Richtung von Präsident Obama
bekannt? (...)
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wirft-Alliierten-falsches- Spiel-vor
25. März 2011
Libyen-Krieg: Deutschland wirft Alliierten falsches Spiel vor!
Berlin - Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel wirft den Alliierten
Heuchelei im Kampf gegen den libyschen Machthaber Muammar al-Gadaffi
vor. "Es ist schon bemerkenswert, dass gerade die Nationen munter in
Libyen bomben, die noch Öl von Libyen beziehen", sagte der
FDP-Politiker am Donnerstagabend in der ZDF-Sendung "Maybrit Illner".
Deutschland dagegen wolle offenbar als einziges Land einen absoluten
Öl-Boykott.
Zugleich bestritt Niebel, dass es sich bei der Enthaltung Deutschlands
zur UN-Resolution um ein Wahlkampfmanöver gehandelt habe. Eine
Enthaltung sei im Wahlkampf viel schwieriger zu vertreten als eine
Zustimmung, sagte der Minister. Die deutsche Position sei aber
richtig, da im Vorfeld "nicht alle nichtmilitärischen Möglichkeiten
ausgeschöpft worden" seien. Zudem gebe es keine politische Strategie
für ein Libyen ohne Machthaber Muammar al-Gaddafi.
Niebel griff außerdem Bündnispartner Frankreich und EU-Außenministerin
Catherine Margaret Ashton an. Deutschland sei von Frankreich "nicht
konsultiert" worden, die Hohe Kommissarin habe "die Koordinierung der
Außenpolitik suboptimal organisiert", kritisierte Niebel.
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Jürgen Wagner,
Libyen, Intervention im Namen des Volkes?
11.3.2011
(...) Ein weiterer Aspekt, bei dem sich Gaddafi als zunehmend
hinderlich erwiesen hatte, betrifft die Profitinteressen der
Ölindustrie. Noch im Jahr 2008 titelte „Die Zeit“: „Alle wollen
Libyens Öl. Unter Libyens Wüste lagern fossile Brennstoffe in riesigen
Mengen. Ausländische Konzerne balgen sich um den Reichtum.“[19] In der
Tat haben westliche Firmen erhebliche Summen in den libyschen Ölsektor
investiert bzw. Verträge mit astronomischen Summen abgeschlossen –
insgesamt ist von einer Gesamtvolumen in Höhe von über 50 Mrd. Dollar
die Rede. So unterschrieb etwa die italienische ENI 2007 einen
Vertrag, der ihr bei einer Investitionssumme von 28 Mrd. Dollar Öl-
und Gasversorgungsrechte bis ins Jahr 2047 garantiert; die britische
BP bezahlte im selben Jahr allein für das Explorationsrecht auf einer
Fläche von 55.000 Quadratkilometern über 900 Mio. Dollar und plant in
den kommenden Jahren bis zu 20 Mrd. Dollar zu investieren; und die
amerikanische Exxon zahlte 2008 für Explorationsrechte 97 Mio.
Dollar.[20] Auch die deutsche RWE sicherte sich Öl- und
Gaskonzessionen im Sirte-Becken und hat vor, etwa 700 Mio. Dollar zu
investieren, während die BASF-Tochter Wintershall mit einem
Investitionsvolumen von 2 Mrd. Dollar in Libyen engagiert ist.[21]
Doch der Euphorie folgte schnell eine große Ernüchterung, denn so ganz
war auf Gaddafi dann doch kein Verlass, wie Meldungen aus dem Jahr
2009 zeigen: „Der libysche Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi erwägt
angesichts sinkender Mineralölpreise einen außergewöhnlichen Schritt.
Laut der spanischen Zeitung ‚El Pais‘ sagte er bei einem Treffen mit
dem spanischen König Juan Carlos in Tripolis, er schließe nicht aus,
Einrichtungen internationaler Ölkonzerne in seinem Land zu
verstaatlichen. Zwar hoffe er nicht, das tun zu müssen, möglicherweise
würden ihm die sinkenden Preise aber keine andere Wahl lassen.“[22]
Als Gaddafi 2009 dann tatsächlich „Eigentum“ der in Libyen
operierenden kanadischen Ölfirma Verenex verstaatlichte[23], war der
Unmut groß, wie ein Branchenreport aus demselben Jahr zeigt: „Wenn
Libyen die Nationalisierung von Privatbesitz androhen kann; wenn es
bereits verhandelte Verträge neu aufmacht, um sein Einkommen zu
vergrößern oder ‚Tribut‘ von Firmen zu extrahieren, die hier arbeiten
und investieren wollen; […] dann wird den Unternehmen die Sicherheit
verweigert, die sie für langfristige Investitionen benötigen. […]
Libyen hat es versäumt, eine stabile Plattform bereitzustellen.“[24]
Aus Sicht der Ölindustrie bietet sich also mit dem Aufstand die
Möglichkeit, sich des Diktators zu entledigen, umso mehr, da er
angesichts der Situation vor Ort ohnehin nicht mehr Herr der Lage zu
sein scheint: „Als Gaddafi das libysche Öl kontrollierte, war er der
Mann. Nun, da er es nicht mehr länger unter Kontrolle hat, ist er
entbehrlich.“[25] So antwortete EU-Energiekommissar Günther Oettinger
auf die Frage, weshalb eigentlich keine Blockade der Energieexporte
durchgeführt werde, um Gaddafi finanziell zu schädigen: „Deswegen sind
wir jetzt in der Landkarte unterwegs und wir haben Grund zu der
Annahme, dass die Mehrzahl der Öl- und Gasfelder, in denen wieder
gefördert werden soll oder gefördert wird, nicht mehr in der Hand
Gaddafis sind.“[26]
[19] Alle wollen Libyens Öl, Zeit Online 26.02.2008. [20]
Sanati, Cyrus: Big Oil's $50 billion bet on Libya at stake, Fortune,
23.02.2011. [21] Der Zerfall eines Partnerregimes (II),
German-Foreign-Policy.com, 25.02.2011. [22] Öl: Gaddafi
plant Verstaatlichung, Die Presse, 26.01.2009. [23] Walkom, Thomas:
Libyanoil, not democracy, fuelling the West, The Star, 03.03.2011.
[24] Zweig, Stefan: Profile of an Oil Producer: Libya, Heatingoil.com,
profile-of-an-oil-producer- libya.pdf [25] Walcom 2011. [26]
EU's Oettinger: Libyan oil fields no longer under Gaddafi's
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gespalten/
Warum ist der Westen so gespalten?
von Ulrich Ladurner
(25. März 2011)
(...)
Warum gibt es eine Intervention in Libyen – aber Zustimmung
zur Repression in Bahrain?
Im kleinen Scheichtum am Persischen Golf gab es in den letzten Wochen massive
Demonstrationen. Die Protestler forderten dasselbe wie Millionen
Menschen in den arabischen Staaten: Reformen und Demokratie. Der
Scheich reagierte mit harter Repression. Der saudische König schickte
1000 Soldaten zur Unterstützung. Und was macht der Westen? Wenn er
nicht schweigt, dann findet er zustimmende Worte. Der engste
außenpolitische Berater der EU–Außenbeauftragen Catherine Ashton,
Robert Cooper, signalisierte sogar Verständnis für die blutige
Niederschlagung der Demonstrationen, die 21 Menschen das Leben
kostete.
Das ist nur dadurch zu erklären, dass der Westen mit
doppelten Standards misst. Freilich, es ist eine Doppelmoral mit
Gründen: In Bahrain befindet sich das Hauptquartier der Fünften
Amerikanischen Flotte, der wichtigste Militärstützpunkt der USA im
Nahen Osten. Die Bevölkerungsmehrheit Bahrains sind Schiiten, die
Mehrheit der Demonstranten sind Schiiten. Auch wenn sie Demokratie und
Reformen fordern, werden sie verdächtigt, die Sache des schiitischen
Iran zu vertreten. Und Iran ist für den Westen DER Gegner in der
Region. Gleichzeitig ist Saudi Arabien DER Verbündete des Westens
gegenüber Teheran. Deswegen schwieg man auch, als die Saudis ihre
Soldaten nach Bahrain schickten. Und wegen der Feindschaft zu Iran
kauft Riad so viele Waffen wie nie zuvor — das Geschäftsvolumen für
2011: 70 Milliarden Dollar. Auch dazu gibt es keine Kritik, nicht
einmal jetzt, da man im Zuge des Krieges in Libyen sieht, wohin es
führt, wenn der Westen nahezu bedenken- und rücksichtslos Waffen
exportiert.
(...)
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Das Bombengeschäft
(...)Mit anderen Worten: Man hat in Libyen keinen ernstzunehmenden
Gegner angetroffen. Deshalb halten es Experten für vielsagend, dass
bisher keine Luftsiege über libysche Kampfflugzeuge bekannt wurden.
Während Franzosen, Briten und Amerikaner keineswegs zimperlich sind,
Erfolge bei der Bombardierung von Bodenzielen zu melden, wurde über
Luftkämpfe so gut wie nichts bekannt. "Und das, obwohl die
Flugverbotszone das eigentliche Mandat des Westens ist", sagt Otfried
Nassauer vom Berliner Informationszentrum für Transatlantische
Sicherheit (BITS).
Das dröhnende Schweigen betrifft nicht nur die
"Rafale", die Luft- und Bodenziele bekämpfen kann, sondern vor allem
den "Eurofighter". Der Libyen-Konflikt ist für ihn der erste
Kampfeinsatz überhaupt - doch ob einer der Jets überhaupt schon einen
Schuss abgefeuert hat, ist unbekannt. "Darüber können wir derzeit
keine Angaben machen", erklärte das britische Verteidigungsministerium
gegenüber SPIEGEL ONLINE. Eine Sprecherin sagte lediglich, die 14 in
Libyen eingesetzten britischen "Eurofighter" seien ausschließlich für
die Bekämpfung feindlicher Flugzeuge ausgerüstet. Bodenziele würden
von "Tornado"-Jagdbombern attackiert. (...) Angst vor hohen Kosten
Diejenigen, die den Libyen-Konflikt als Werbefeldzug begreifen, dürfen
die Kosten freilich nicht aus dem Ruder laufen lassen.
Zack Cooper, Analyst beim Center for Strategic and Budgetary Assessments (CSBA)
in Washington, taxierte schon den Preis für die Zerstörung der libyschen
Flugabwehr auf 400 bis 800 Millionen US-Dollar. Die Aufrechterhaltung
der Flugverbotszone koste allein die USA weitere 30 bis 100 Millionen
Dollar pro Woche - und das unter der Annahme, dass die Zone nicht ganz
Libyen erfasst, sondern sich auf das Gebiet nördlich des 29.
Breitengrades beschränkt. Auch der britische Experte Francis Tusa
warnte: Wenn zehn "Typhoon"-Jets täglich in der Flugverbotszone zum
Einsatz kämen, koste das zwei bis drei Millionen Pfund (2,3 bis 3,4
Millionen Euro).
Großbritanniens Finanzminister George Osborne will
davon nichts wissen: Er schätzte die Kosten für den Libyen-Einsatz auf
einen lediglich zweistelligen Pfund-Millionenbetrag. Der französische
Militärexperte Jean Dominique Merchet sprach gar von "Peanuts": Der
Einsatz eines "Rafale"-Kampfjets koste nur etwa 30.000 Euro pro
Stunde. Mit Material von dpa und Reuters
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Krieg in Libyen
Militär warnt vor übertriebenen Erwartungen
28. März 2011
(...)
Am Montag waren nur Nato-Mitglieder beteiligt, noch keine arabischen Länder. Die
Nato-Sprecherin sagte, alle 28 Nato-Mitglieder trügen zu der Operation
bei, weil es nicht nur um direkte Beiträge wie Flugzeuge gehe, sondern
auch um indirekte Hilfe, etwa in den Stäben des Bündnisses. Die
Sprecherin hob noch einmal hervor, dass die Nato gemäß UN-Resolution
1973 nur den Auftrag habe, die libysche Bevölkerung und die
Bevölkerungszentren des Landes vor Angriffen zu schützen. Diese
Mission werde unparteiisch erfüllt. Sie wollte sich nicht dazu äußern,
ob die Nato auch die Aufständischen bekämpfen würde, sollten diese
sich gegen die Bevölkerung wenden. Zu der Operation „Unified
Protector“ gehört auch die Überwachung des UN-Waffenembargos gegen
Libyen zur See, womit die Nato bereits am vergangenen Mittwoch
begonnen hatte. (...)
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unified_protector_ops-area. pdf
zeigt die NATO eine Karte, die an der
unparteiischen Erfüllung der Mission des westlichen Bündnisses
zweifeln lässt: Im Osten Libyens, wo die Aufständischen gegen Gaddafi
derzeit (Stand 29.3.2011) die Macht haben, fühlt sich die Nato mit
ihrer Waffenembargo- Überwachungsmission nicht zuständig.
Clemens Ronnefeldt
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Clemens Ronnefeldt
Referent für Friedensfragen beim deutschen
Zweig des internationalen Versöhnungsbundes
A.-v.-Humboldt-Weg 8a
85354 Freising
Tel.: 08161-547015 begin_of_the_skype_highlighting 08161-547015 end_of_the_skype_highlighting
Fax: 08161-547016
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