Montag

Der Nato-Krieg in Libyen: nicht für die Freiheit sondern fürs Öl


Der NATO-Einsatz in Libyen ist (Öl-)interessengeleitet

von Prof. Andreas Buro,
Friedenspolitischer Sprecher des Komitee für Grundrechte und Demokratie

und

von Clemens Ronnefeldt,
Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des
Internationalen Versöhnungsbundes


1. Der Kosovo/Jugoslawienkrieg als Vorgeschichte der
UN-Libyen-Resolution 1973

Am 15. April 1999 erschienen im Zusammenhang mit dem
Kosovo/Jugoslawienkrieg in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
folgende Kommentarsätze:

"Bei den deutschen Stellungnahmen zum Kosovokrieg fällt die mutwillige
Naivität auf, mit der viele, die sich früher für `links´ gehalten
hätten, sich die regierungsamtliche Rhetorik zu eigen machen, die Nato
sei ein gewissermaßen interesseloses Medium der Moral, eine Art
Menschenrechtsorganisation mit anderen Mitteln. Bei den
Intellektuellen ebenso wie bei den Politikern konzentriert sich die
Rechtfertigung der Militäraktion ausschließlich auf deren `humanitäre´
Aspekte. Man schreckt vor Formulierungen zurück, die auch nur entfernt
an ein nationales oder westliches `Interesse´ denken lassen - so, als
wäre es unanständig, dass es einem militärischen Apparat auch um
Einflusssphären gehen könnte".

Die Parlamentarische Versammlung der Nato - ein von der Nato
unabhängiges Gremium, das als Bindeglied zwischen dem Bündnis und den
nationalen Parlamenten fungiert - verabschiedete im Dezember 2000
einen „Generalbericht“ über „Die Folgen des Kosovo-Konfliktes und
seine Auswirkungen auf Konfliktprävention und Krisenmanagement“. Darin
heißt es: „So nahmen die Angriffe der UCK auf serbische
Sicherheitskräfte und Zivilisten ab Dezember 1998 stark zu. Der
Konflikt eskalierte neuerlich, um eine humanitäre Krise zu erzeugen,
welche die NATO zur Intervention bewegen würde“ (1).

Als Folge des auch in Militärkreisen als gescheitert eingestuften
NATO-Einsatzes im Kovoso/Jugoslawienkrieg 1999 richtete
UN-Generalsekretär Kofi Annan eine Kommission ein, deren Nachdenken
künftige machtpolitische Instrumentalisierungen des Begriffs
"humanitäre Intervention" verhindern sollte. Das Ergebnis der
Überlegungen dieser Kommission führte zum neuen Leitbegriff
"Responsibility to Protect", der von der UN-Generalversammlung in
einer Resolution im Jahre 2005 mit Mehrheit angenommen wurde.

Die UN-Libyen-Resolution 1973 zur Einrichtung einer Flugverbotszone
und zum Schutz der von Gaddafis Truppen bedrohten Rebellenhochburg
Bengasi ist vor dem Hintergrund der jahrelangen Diskussionen über die
internationale Verantwortung zum Schutz akut bedrohter
Zivilbevölkerungen durch Völkermord und Verbrechen gegen die
Menschlichkeit zu sehen.

Professor Reinhard Merkel, der an der Universität Hamburg Strafrecht
und Rechtsphilosophie lehrt, hat in der F.A.Z. vom 22. März 2011 die
UN-Resolution 1973 scharf kritisiert:

"Die Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrats vom 17. März, die den Weg
zur militärischen Intervention in Libyen freigab, und Maß und Ziel
dieser Intervention überschreiten die Grenzen des Rechts. Nicht
einfach nur die Grenzen positiver Normen - das gehört zum Motor seiner
Entwicklung. Sondern die seiner Fundamente: der Prinzipien, auf denen
jedes Recht zwischen den Staaten beruht. Die Entscheidung der
Bundesregierung, der Resolution nicht zuzustimmen, war richtig. Die
empörte Kritik daran ist so kurzsichtig und fahrlässig wie die
Entscheidung des Sicherheitsrats und die Intervention selbst:
kurzsichtig im Ausblenden wesentlicher Voraussetzungen der Situation
in Libyen, fahrlässig im Hinblick auf die Folgen dieses Kriegs für die
Normenordnung der Welt".

Mit Verweis auf die Genfer Konvention von 1977 und eine Entscheidung
des Internationalen Gerichtshofes von 1986 folgert Reinhard Merkel: "Diese
Normen statuieren ein striktes Verbot des militärischen Eingreifens in Bürgerkriege
auf fremdem Territorium".

Wenn die völkerrechtliche Ausgangslage so klar zu sein scheint - wie
konnte es dennoch zum NATO-Militäreinsatz in Libyen kommen - und aus
welchen Gründen wird er geführt?


2. In Libyen herrscht Bürgerkrieg - mit Tätern und Opfern auf beiden
Seiten

Dass in Libyen ein Bürgerkrieg im Gange ist, bei dem beide Seiten -
Regierungstruppen und Rebellen - kriegerische Gewalt einsetzen, dürfte
unumstritten sein. Auffällig ist, dass in der westlichen
Medienlandschaft fast ausschließlich die Gefahr eines Massakers an
Zivilisten in der Rebellenhochburg Bengasi als Rechtfertigung für den
internationalen Kriegseinsatz genannt wird. Massaker der Rebellen
wurden und werden kaum thematisiert.

Gunnar Heinsohn, Autor des "Lexikons der Völkermorde" lässt in der
F.A.Z. vom 22. März 2011 den Journalist und Filmemacher Farai Sevenzo
zu Wort kommen, der bereits im Februar 2011 berichtet habe: "Weil
vermutlich Söldner aus dem Tschad und Mali für ihn (Gaddafi, Anm.:
C.R.) kämpfen, sind eine Million afrikanischer Flüchtlinge und
Tausende afrikanischer Wanderarbeiter in Gefahr, ermordet zu werden.
Ein türkischer Bauarbeiter sagte zu BBC: `Wir hatten siebzig bis
achtzig Leute aus dem Tschad in unserer Firma. Sie wurden mit
Baumscheren und Äxten niedergemetzelt und von den Angreifern
beschuldigt, für Gaddafi Truppen zu stellen. Auch die Sudanesen wurden
massakriert. Wir haben es selbst gesehen´".

Gunnar Heinsohn weist auf einen bisher wenig beachteten Aspekt des
Bürgerkrieges hin: "Gegen die blutig ihre Macht Verteidigenden werden
alle Register des internationalen Strafrechts gezogen. Die
einzuziehenden Vermögen werden penibel aufgelistet. Doch weder im
Resolutionstext noch in den Reden der amerikanischen Außenministerin
Clinton oder des französischen Präsidenten Sarkozy gibt es Mahnungen
und Gerichtsdrohungen an die Aufständischen. Ausdrücklich wird der
Einsatz `von Söldnern durch die libysche Führung´ verurteilt. Doch
womöglich unter solchem Vorwand erfolgte Völkermordakte bleiben
unerwähnt" (F.A.Z., 22. März 2011).

Nach UN-Schätzungen sind derzeit etwa 200 000 afrikanische Flüchtlinge
an der libysch-ägyptischen und noch einmal 100 000 Flüchtlinge an der
libysch-tunesischen Grenze gestrandet (2). Wer fühlt sich für ihr
Schicksal verantwortlich?

Wie kann die NATO in einer solch unübersichtlichen Lage, in der es auf
beiden Seiten schwerste Menschenrechtsverletzungen gibt, sich auf eine
Seite stellen? Gab es den Wunschgedanken, bei den Rebellen handele es
sich um eine demokratische Massenbewegung wie in Ägypten? Wieviele am
Bürgerkrieg unbeteiligte Zivilisten sind bereits den Bombardierungen
der NATO zum Opfer gefallen, um - so die NATO-Begründung - andere
unbeteiligte Zivilisten vor Übergriffen der Gaddafi-Truppen zu
schützen?

Am 31. März 2011 erklärte Bischof Giovanni Martellini aus Tripolis
gegenüber der vatikanischen Nachrichtenagentur "Fides", die
sogenannten humanitären Angriffe hätten Dutzende zivile Opfer in
einigen Vierteln von Tripolis getötet.

Westliche Regierungschefs wollen Gaddafi wegen schwerster
Menschenrechtsverletzungen - amnesty international-Berichte sprechen
eine eindeutige Sprache - gestürzt sehen. Ihre Vorgänger sahen z.B.
1996 zu, als rund 1200 Häftlinge in Abu Salim ermordet wurden und
belieferten Gaddafi wenige Jahre später sogar noch mit Waffen.

Sie schauten auch viele Jahre darüber hinweg, dass Gaddafi mit
europäischer Unterstützung Lager für afrikanische Flüchtlinge bauen
ließ, die dort teilweise brutal misshandelt wurden. Zuvor waren viele
dieser Flüchtenden von der europäischen Grenzschutzorganisation
Frontex aufgegriffen und abgeschoben worden, damit sie nicht nach
Europa gelangen.


3. Wer gehört zur libyschen Opposition?

Wolfram Lacher von der "Stiftung Wissenschaft und Politik" (SWP) in
Berlin, welche die Bundesregierung berät, schreibt in seiner Studie
"Libyen nach Qaddafi. Staatszerfall oder Staatsbildung?":

"Der entscheidende Impuls für den Aufstand ging jedoch von den
weitgehend unorganisierten Kräften aus: In der Mehrzahl waren es
arbeitslose oder unterbeschäftigte junge Männer, die in den Städten
des Nordostens und den Nafusa-Bergen im Nordwesten Polizeistationen
und Amtsstuben in Brand steckten und damit für die Eskalation der
Unruhen sorgten" (3).

Was hätten die "Sicherheitskräfte" von Gaddafi angesichts dieser
Situation machen sollen? Wie hätten andere Staaten darauf reagiert?

Zwischen den Jahren 2004 und 2010 haben westliche Staaten für mehr als
eine Milliarde US-Dollar Waffen an das Gaddafi-Regime geliefert. Nun
erwägt US-Präsident Barack Obama, die libysche Opposition trotz
UN-Waffenembargos mit Rüstungsexporten zu versorgen, um so das
Gaddafi-Regime zu stürzen.

Zur libyschen Opposition schreibt Wolfram Lacher von der SWP: "Unter
den oppositionellen Gruppen verfügen allein die Muslimbrüder über eine
beständige Organisation und eine nennenswerte Basis, vor allem in den
Städten des Nordostens" (4).

In Ägypten fürchtet auch nach dem Sturz von Hosni Mubarak die
westliche Wertegemeinschaft die Muslimbrüder. In Libyen, wo die
Muslimbrüder einen "gemäßigten politischen Islam" (Wolfram Lacher)
vertreten, hat sich die NATO zu ihrer Luftwaffe gemacht.

Als weitere tragende Kräfte der Opposition gelten ganze Stämme sowie
ehemalige hohe Militärs und Politiker aus dem Gaddafi-Lager, die
übergelaufen sind.

Wolfram Lacher bilanziert: „Für die Mehrheit der politischen Akteure
wird es aber weniger um die Grundlagen des libyschen Staates, sondern
vielmehr um die Neuverteilung der Ressourcen gehen“ (5). Sieht so eine
wirkliche Demokratiebewegung aus, welche die Bombardierungen der NATO
mit erheblichen Opferzahlen und Verwüstungen der Infrastruktur zum
Sturz Gaddafis rechtfertigen könnten?


4. Die neue Gegenregierung: An der Spitze prowestliche Marionnetten?

Obwohl Gaddafi noch nicht gestürzt ist, hat sich die NATO bereits auf
zwei führende Politiker für eine Gegenregierung festgelegt: Mahmud
Dschibril und Ali Tarhuni. Mit welcher Legitimation vertreten diese
beiden Männer nun gegenüber dem Westen den östlichen Teil Libyens mit
den wichtigsten Erdöl-Förderanlagen? Mit welchem Recht werden sie
vermutlich in Kürze neue Erdöl-Lieferverträge abschließen?

Zu Mahmud Dschibril schreibt das Hamburger Abendblatt:

"Für Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und US-Außenministerin
Hillary Clinton repräsentiert er das neue Libyen: Der Ökonom Mahmud
Dschibril ist zum Chef einer provisorischen Gegenregierung in Bengasi
ernannt worden. Nach Studium und Lehrtätigkeit in den USA hatte sich
der 1952 geborene Dschibril viele Jahre daran abgemüht, das Libyen von
Staatschef Muammar al-Gaddafi wirtschaftlich zu reformieren. Unter dem
Schutzschirm des damals mit Veränderungsambitionen hervorgetretenen
Gaddafi-Sohnes Saif al-Islam leitete Dschibril den Nationalen
Ausschuss für Wirtschaftliche Entwicklung." (...)

"Depeschen der US-Botschaft, die das Internet-Portal WikiLeaks
veröffentlichte, beschreiben Dschibril als `ernsthaften
Gesprächspartner´, der die USA ermunterte, sich in Libyen stärker zu
engagieren. Die Weltmacht kritisiert er dafür, dass sie nach dem Ende
des Kalten Krieges ihre `sanfte Macht´ - ihre alltagskulturellen
Trümpfe von McDonald's bis Hollywood - im Nahen Osten nicht bewusster
ausgespielt habe" (6).

Wird Mahmud Dschibril mit dieser Grundeinstellung zukünftig die
Interessen der libyschen Bevölkerung vertreten können?

Zu Ali Tarhuni schreibt die F.A.Z. am 30. März 2011: "Er war
Wirtschaftsprofessor in Amerika. Nun ist Ali Tarhuni `Superminister´
für die Rebellenregierung und stellt die Weichen für die
Marktwirtschaft".

Soll möglicherweise mit diesen Personalentscheidungen ein nicht
offiziell genanntes Ziel der NATO-Intervention - die Einführung einer
neoliberalen Wirtschaftsordnung - erreicht werden?

Der Streit innerhalb der westlichen Mächte, wer welche Stücke vom
Erdöl-Kuchen Libyens abbekommt, dürfte in den nächsten Wochen und
Monaten an Schärfe gewinnen. Frankreich war bisher nur sehr bescheiden
bei der Ausbeutung von Erdölfeldern mit eigenen Unternehmen vertreten.
Dies könnte sich nach dem Engagement Sarkozys für diesen Krieg, der
den Rebellen zugute kommt, ändern.

Libyen verfügt über die größten Erdöl-Reserven Afrikas. 70 Prozent
seiner Öl- und Gasexporte gehen in die EU, davon ca. 40 % nach
Italien, 13 % nach Deutschland, 8 % nach Frankreich und 7 % nach
Spanien. Damit ist Libyen für die Energieversorgung Europas
"systemrelevant".

Am 16. Februar 2011 gründeten Libyen, Italien (vertreten durch das
Unternehmen ENI) und Russland (vertreten durch Gazprom) ein Joint
Venture, dem ein Drittel des Fördervolumens des rund 800 km südlich
von Tripolis gelegenen riesigen Ölvorkommens "Elefantenfeld"
vertraglich zugesprochen wurde.

Am 13. März 2011 traf sich Gaddafi in Tripolis mit den Botschaftern
Chinas, Indiens und Russlands. Dabei habe er diesen drei Staaten den
Vorschlag gemacht, die bereits zu diesem Zeitpunkt wegen der Unruhen
geflüchteten westlichen Ölunternehmen mit jeweils eigenen Konzernen zu
ersetzen. Vier Tage nach diesem Treffen konnten sich die
UN-Botschafter Russlands und Chinas nicht zu einem Veto durchringen,
sondern ließen die Resolution 1973 passieren.

Jürgen Wagner, Mitarbeiter der Informationsstelle Militarisierung in
Tübingen, hat in seiner Studie "Libyen: Intervention im Namen des
Volkes?" (7) einen wesentlichen Grund genannt, warum westliche
Investoren Gaddafi als "Unsicherheitsrisiko" angesichts ihrer
Milliarden-Investitionen in Libyen ansahen.

Als Gaddafi 2009 Eigentum der in Libyen operierenden kanadischen
Ölfirma Verenex verstaatlichte (8), war der Unmut groß, wie ein
Branchenreport aus demselben Jahr zeigt: „Wenn Libyen die
Nationalisierung von Privatbesitz androhen kann; wenn es bereits
verhandelte Verträge neu aufmacht, um sein Einkommen zu vergrößern
oder `Tribut´ von Firmen zu extrahieren, die hier arbeiten und
investieren wollen; (...) dann wird den Unternehmen die Sicherheit
verweigert, die sie für langfristige Investitionen benötigen. (...)
Libyen hat es versäumt, eine stabile Plattform bereitzustellen“ (9).

Als Gewinner des derzeitigen Libyenkrieges dürfen sich die
Rüstungsmanager der großen westlichen Konzerne fühlen. Für den
"Eurofighter" ist es der erste Kampfeinsatz. Unter dem Titel "Das
Bombengeschäft" veröffentlichte der Spiegel bereits in den ersten
Kriegstagen Zahlen über die Aufwendungen:

"Diejenigen, die den Libyen-Konflikt als Werbefeldzug begreifen,
dürfen die Kosten freilich nicht aus dem Ruder laufen lassen. Zack
Cooper, Analyst beim Center for Strategic and Budgetary Assessments
(CSBA) in Washington, taxierte schon den Preis für die Zerstörung der
libyschen Flugabwehr auf 400 bis 800 Millionen US-Dollar. Die
Aufrechterhaltung der Flugverbotszone koste allein die USA weitere 30
bis 100 Millionen Dollar pro Woche - und das unter der Annahme, dass
die Zone nicht ganz Libyen erfasst, sondern sich auf das Gebiet
nördlich des 29. Breitengrades beschränkt" (10).

Libyen wird zukünftig auch für die Elektrizitätsversorgung Europas von
Bedeutung werden. Das geplante Desertec-Projekt zur solaren
Stromerzeugung in der Sahara in Höhe von mehreren hundert Milliarden
Euro braucht ein sicheres und stabiles Libyen.



5. Westliche Geheimdienste schon länger im Libyen-Einsatz

Am 31. März 2011 veröffentlichte das Handelblatt folgende Meldung:

"Bei den CIA-Mitarbeitern handelt es sich laut `New York Times´ um
eine unbekannte Zahl von US-Geheimdienstoffizieren, die entweder
bereits in Tripolis arbeiteten oder neu hinzukamen. Nach Angaben
britischer Regierungsbeamter arbeiteten `Dutzende´ Agenten des
Geheimdienstes MI6 und Mitglieder von Spezialkommandos in Libyen. Die
versorgten die britischen Streitkräfte mit Informationen über Ziele
für Luftschläge, Stellungen und Bewegungen von Gaddafis Militär" (11).

US-Bodenspezialtruppen sind auch im High-Tech-Zeitalter nach wie vor
notwendig, um Lasermarken für die Bombardierungen aus der Luft zu
setzen.

Bereits am 8. März 2011 hatte das Hamburger Abendblatt berichtet:

"Der britische `Special Air Service´ (SAS) gilt als die `Mutter aller
Spezialeinheiten´ nach deren Muster weltweit Elitetruppen vom
deutschen KSK bis zur amerikanischen Delta Force operieren. Und der
Londoner Auslandsgeheimdienst MI6, Heimat des fiktiven Agenten James
Bond, hat ebenfalls einen Ruf wie Donnerhall. Ausgerechnet diese
beiden Dienste sind derzeit Zielscheibe bitteren Spotts. Sechs schwarz
vermummte SAS-Krieger waren am frühen Freitagmorgen zusammen mit zwei
MI6-Agenten von einem Chinook-Hubschrauber unweit der libyschen
Rebellenhochburg Bengasi gelandet. Sie sollten Kontakt mit den
Aufständischen aufnehmen. Doch das taten die schon von sich aus - sie
hatten den auf offenem Feld gelandeten Helikopter längst gehört und
setzten die britischen Spezialisten fest. Die Briten beteuerten nach
Informationen des `Daily Telegraph´ zunächst, ganz harmlos zu sein,
doch dann kamen in ihrem Gepäck Waffen, Aufklärungsmittel und falsche
Pässe zum Vorschein. Die Libyer reagierten `not amused´, ließen die
Schattenkrieger aber am Sonntag wieder frei. An Bord eines britischen
Marineschiffes kehrten sie wenig ruhmbedeckt zurück. Die britische
Presse fragte, warum ihre Regierung nicht offen den Kontakt mit der
libyschen Opposition gesucht hat. Außenminister William Hague hatte
den Einsatz abgesegnet. Nun musste er einräumen, sein Team sei `auf
Schwierigkeiten gestoßen´. Diese seien aber `zufriedenstellend gelöst´
worden. Nicht ganz so diplomatisch drückte es der frühere britische
Botschafter in Tripolis, Oliver Miles, aus - der Einsatz sei eine
`Farce´ gewesen. Der liberale `Guardian´ sprach gar von den `Deppen in
der Wüste´. Einziger Trost für den SAS: Vergangene Woche waren drei
niederländische Elitesoldaten bei einer Geheimoperation von Gaddafis
Truppen festgenommen worden" (12).

Sollten sich die britischen SAS-Soldaten als wirkliche "Befreier" und
"Unterstützer" der Aufständischen gefühlt haben - warum wurden sie von
den Rebellen zunächst einmal verhaftet? Wie lässt sich völkerrechtlich
überhaupt der Einsatz von westlichen Spezial-Bodentruppen
rechtfertigen, wo diese doch durch die UN-Resolution 1973 ausdrücklich
verhindert werden sollten?


6. Machtkampf in Europa - Durchsetzung doppelter Standards gegenüber
Nicht-EU-Staaten

Der französische Präsident Sarkozy gilt als der Mann, der den
Kriegseinsatz am stärksten forciert hat. Unter großem Druck wegen
katastrophaler Umfragewerte im Wahlkampf stehend, brachte ihm das
diplomatische Kunststück, die UN-Resolution 1973 ohne Veto
durchgesetzt zu haben und sich als Verteidiger der Menschenrechte zu
gerieren, bei den jüngsten Wahlen vermutlich noch einige
Sympathie-Punkte. Große Teile der französischen Bevölkerung
unterstütz(t)en die militärischen Aktionen Frankreichs in Libyen.
Vergessen war die Tatsache, dass Sarkozy noch wenige Wochen zuvor in
den letzten Tagen des tunesischen Diktators Ben Ali diesem Waffenhilfe
anbot, um die dortigen Aufständischen zu bekämpfen.

Innerhalb Europas wurden Risse sichtbar: Eine neue
französisch-britische Achse, die in Zukunft u.a. einen gemeinsamen
Flugzeugträger betreiben möchte, stellte sich der als dominant
empfundenen deutschen Regierung entgegen und setzte sich in einer
wichtigen außenpolitischen Frage an der Seite der US-Regierung durch.

Auf die Frage, warum in Bahrain die dortige schiitische
Bevölkerungsmehrheit bei ihrem Aufstand gegen die vom Westen
unterstützten sunnitischen Despoten trotz vieler Toter bei
Demonstrationen keine Hilfe erfährt, hat einer der wichtigsten
europäischen Spitzenpolitiker, Robert Cooper, schon vor einigen Jahren
- ohne den konkreten Bahrain-Hintergrund - weitreichende Aussagen
gemacht.

Robert Cooper war einer der Chefberater des früheren
"EU-Außenministers" Javier Solana, der von 1999 bis Ende November 2009
Generalsekretär des Rates der Europäischen Union und Hoher Vertreter
für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik war. Cooper gilt als
Hauptautor der Europäischen Sicherheitsstrategie. In seinem 2002
erschienenen Buch über den postmodernen Staat schrieb er, was heute
Realität geworden zu sein scheint:

„Die Herausforderung der postmodernen Welt ist es, mit der Idee
doppelter Standards klarzukommen. Unter uns gehen wir auf der Basis
von Gesetzen und offener kooperativer Sicherheit um. Aber wenn es um
traditionellere Staaten außerhalb des postmodernen Kontinents Europa
geht, müssen wir auf die raueren Methoden einer vergangenen Ära
zurückgreifen – Gewalt, präventive Angriffe, Irreführung, was auch
immer nötig ist, um mit denen klarzukommen, die immer noch im 19.
Jahrhundert leben, in dem jeder Staat für sich selber stand. Unter uns
halten wir uns an das Gesetz, aber wenn wir im Dschungel operieren,
müssen wir ebenfalls das Gesetz des Dschungels anwenden“ (13).

In einem Essay für "Die Zeit" schrieb Robert Cooper bereits 2004:
"Weder Dynamit noch der Sturz von Tyrannen machen den Menschen frei,
sondern `gute Gesetze und ein gutes Heer´, um Machiavelli zu zitieren"
(14).

7. Zukunftsgedanken der Bundeswehr zur Ressourcensicherung

Das Zentrum für Transformation der Bundeswehr hat im Sommer 2010 eine
Studie zum Thema Peak Oil verfasst, die im Februar 2011 überarbeitet
und offiziell freigegeben wurde: "Peak Oil - Sicherheitspolitische
Implikationen knapper Ressourcen" lautet der Titel dieser ersten
Teilstudie der Gesamtstudie "Streitkräfte, Fähigkeiten und
Technologien im 21. Jahrhundert" (15).

Die darin gemachten Aussagen sprechen für sich:

„Der Anteil des auf dem globalen, frei zugänglichen Ölmarkt
gehandelten Erdöls wird zugunsten des über binationale Kontrakte
gehandelten Öls abnehmen. Wirtschaftskraft, militärische Stärke oder
der Besitz von Nuklearwaffen werden zu einem vorrangigen Instrument
der Machtprojektion und zu einem bestimmenden Faktor neuer
Abhängigkeitsverhältnisse in den internationalen Beziehungen“ (S. 14).

„Je nach Art der Verbindung zwischen Importstaat und bietendem
Unternehmen ist dabei auch der Einsatz staatlicher, zum Beispiel
geheimdienstlicher Mittel zur Erlangung der Lizenz zu erwarten. Im
Extremfall ist eine Fortsetzung dieser verschärften Konkurrenz auch
nach der Erteilung von Lizenzen plausibel, die in dem Versuch gipfeln
würde, Unternehmen zur Rückgabe ihrer Lizenz zu bringen. Vorstellbar
ist zu diesem Zweck eine Instrumentalisierung der einheimischen
Bevölkerung - besonders in Gebieten ethnischer oder religiöser
Minderheiten - zur gezielten Erschwerung der Arbeitsbedingungen der
entsprechenden Ölfirmen“ (S. 33).

„Das Spektrum denkbarer Aufgaben schlösse schließlich auch die
Ausübung oder direkte Beauftragung und Beaufsichtigung eigentlich
hoheitlicher Aufgaben staatlicher Gewaltausübung mit ein. Dies würde
jedoch in eine rechtliche Grauzone führen und eine weitere Aushöhlung
der staatlichen Souveränität und Institutionen bedeuten“ (S. 34).

„Voraussetzung für eine solche Situation ist jedoch immer die
Erwartung einer bestimmten Gewinnspanne, ohne die ein privates
Unternehmen zur weiteren Arbeit in der Konfliktregion auf Grund seiner
grundsätzlichen Philosophie nicht gewillt wäre. Somit sind kurzfristig
Anstrengungen einer `Corporate COIN´-Kampagne und Ausgaben für eine
Beruhigung des Umfeldes denkbar, langfristig ist dies nur dann
plausibel, wenn die zu erwartenden Gewinne unter Berücksichtigung der
bereits getätigten Investitionen hoch genug sind“ (S. 34).

„Der Begriff `Counterinsurgency´ (COIN) führt in Deutschland immer
wieder zu Missverständnissen und Dissens, da ihm verschiedene
Übersetzungen und unterschiedliche Interpretationen zu Grunde liegen.
Häufig als `Aufstandsbekämpfung´ übersetzt, assoziiert der Begriff ein
militärisches Vorgehen gegen eine Aufstandsbewegung. Vor dem
Hintergrund der inzwischen anerkannten Einschätzung, dass nur rund
15-20% der Aktivitäten zur Beendigung eines Aufstandes militärischer
Natur sind und die Führung und Mehrzahl der notwendigen Aufgaben im
zivilen Bereich liegen, ist die Übersetzung als
`Aufststandsbewältigung´ vorzuziehen“ (S. 34).

Die Studie nimmt an, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik
der Regierung weiter abnimmt. Diese Vermutung dürfte zutreffend sein.
In der im Februar 2011 überarbeiteten neuen Version der Studie wurden
inzwischen etliche Passagen gegenüber der ersten Fassung vom Sommer
2010 entschärft.


8. Es gab Alternativen zum Krieg: Sarkozy zerbombte den türkischen
Friedensplan

Anfang März führte die Arabische Liga nach eigenen Angaben unter
Beteiligung von Venezuela Verhandlungen über einen Friedensplan für
Libyen. Die damit geweckten Hoffnungen ließen kurzzeitig den Dax
steigen (vgl.: Die Welt online, 3. März 2011).

N-TV meldete ebenfalls am 3. März 2011: "Der Bürgerkrieg in Libyen
könnte eine Wende nehmen. Eine tragende Rolle spielt dabei Venezuelas
Staatschef Hugo Chávez. Sein Plan: Eine internationale Delegation soll
sowohl mit Machthaber Gaddafi, als auch mit der libyschen Opposition
verhandeln".

Warum wurde dieser an sich logische Ansatz, im Falle eines blutigen
Bürgerkrieges eine Gruppe von internationalen neutralen MediatorInnen
einzusetzen, die zunächst einen Waffenstillstand aushandeln, nicht vom
Westen unterstützt? Lag es daran, dass Hugo Chávez als "Aussätziger"
gesehen wird, mit dem die westliche Politik keine gemeinsame Sache
machen möchte - und sei sie noch so vernünftig?

Einige Erfahrungen mit zivilem Konfliktmanagment haben
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der OSZE. Der Friedenforscher
Professor Johan Galtung hat in mehreren bewaffneten internationalen
Konflikten bereits erfolgreich deeskaliert. Die in Rom ansässige
Organisation "St. Egidio" hatte den äußerst blutigen Bürgerkrieg in
Mosambik zu einem Ende gebracht. Eine Gruppe von "elder statesmen" ist
immer wieder im Einsatz, wo sich internationale Brandherde zeigen, um
diese zu löschen. Aus den Kreisen der Friedensbewegung gibt es erste
erfolgreiche Ergebnisse mit Deeskalationsmaßnahmen im Bürgerkrieg in
Sri Lanka durch eine "nonviolent peace force". Warum wurde im Vorfeld
der Spannungen in Libyen zwischen Gaddafi und Rebellen keine dieser
neutralen Vermittlungsinstitutionen für einen Libyen-Einsatz von
westlichen Regierungen angefragt?

Kurz nach Verabschiedung der UN-Resolution 1973 trat - noch vor den
Bombardierungen Frankreichs, Großbritanniens und der USA - die
Afrikanische Union (AU) zusammen:

Das Nachrichtenportal "dnews" berichtete darüber: "An der Sitzung der
AU, die seit Freitagmorgen versucht, eine politische Lösung des
Konflikts zu finden, nehmen Vertreter der libyschen Regierung teil,
nicht aber Vertreter der Rebellen. Zudem sind Vertreter der UNO, der
EU, der Arabischen Liga und der Konferenz der Islamischen Staaten
beteiligt. Die libysche Regierung hatte bereits zwei Waffenruhen
verkündet, die nicht eingehalten wurden. Die Beratungen stützen sich
auf einen Plan, den ein Komitee von fünf afrikanischen Staatschefs
ausgearbeitet hat" (16).

Die libysche Regierung war angeblich zur Umsetzung eines Friedensplans
der Afrikanischen Union (AU) bereit. Bei einem Treffen am Sitz der AU
in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba sollen Vertreter Libyens
erklärt haben, ihre Regierung akzeptiere den AU-Plan zur Beendigung
der Kämpfe in Libyen. Warum wurde diese Bereitschaft nicht auf ihren
substanziellen Gehalt geprüft?

Letztendlich wurde der Afrikanischen Union keine Zeit und keine Chance
gelassen, ihre Friedenspläne, die auf einem Waffenstillstand aufbauen
sollten, weiter zu entwickeln.


Am 24. März 2011 berichtete der Berliner "Tagesspiegel" (17)
ausführlich darüber, wie der französische Präsident Sarkozy einen
hoffnungsvollen türkischen Friedensplan zerbomben ließ.

Während der türkische Außenminister Davutoglu Gespräche mit der
libyschen Opposition führte, sprach Ministerpräsident Erdogan mehrfach
am Telefon mit Gaddafi sowie seinen Söhnen und anderen hohen
Regierungspolitikern.

Der türkische Friedensplan, der mit US-Präsident Obama abgestimmt war,
sah vor, eine konkrete Agenda für den Aufbau demokratischer Strukturen
zu vereinbaren und der Spitze des libyschen Regimes einen Abgang ohne
Gesichtsverlust zu ermöglichen. Dieser Aufbau demokratischer
Strukturen sollte eine neue Verfassung und freie Wahlen beinhalten und
vorübergehend international überwacht werden. Der sehr großen Familie
Gaddafi sollte die Möglichkeit zur eigenen Parteigründung eröffnet
werden.

"Es soll erste Erfolge auf dem Weg zur friedlichen Einigung gegeben
haben - dann kamen die Luftangriffe der Alliierten", so der
"Tagesspiegel". Auf die genannten Vorschläge soll Gaddafi "positive
Signale" gesendet haben.

Die französischen Bombardierungen am 19. März trafen die türkische
Pendel-Diplomatie zwischen Gaddafi und Rebellen in einer zur
vorsichtigen Hoffnung Anlass gebenden Phase. Die türkische Zeitung
Hürriyet titelte: "Frankreich bombardierte eine Lösung".

Der türkische Staatspräsident Abdullah Gül kritisierte laut
"Tagespiegel" den französischen Präsidenten Sarkozy mit den Worten:
"Einige sind vorgeprescht und haben es vorgezogen, Libyen in Brand zu
setzen".

Die türkische Diplomatie zog sich seither nicht zurück, sondern
versucht zu retten, was noch zu retten ist. Sie ist nicht aus der Nato
ausgeschert, sondern beteiligt sich sowohl mit Kriegsschiffen an der
Durchsetzung des Waffenembargos als auch mit Kampfflugzeugen an der
Überwachung des Flugverbots über Libyen - nicht jedoch an
Luftangriffen. "Alles müsse unter dem Dach der UNO laufen", zitiert
der "Tagesspiegel" eine Forderung von Außenminister Davutoglu, die
bisher nicht erfüllt wurde. Minister Davutoglu soll den westlichen
Staaten auch geraten haben "bei der Aktion in dem muslimischen Land in
Nordafrika auf seine Rhetorik zu achten": "Wenn von einem "Kreuzzug"
gesprochen werde, dann werde die Türkei bestimmt nicht mit von der
Partie sein: Im ganzen Nahen Osten steht der Begriff des "Kreuzzuges"
nicht für Befreiung, sondern für westliche Aggression", so der
"Tagesspiegel". Warum wurde der Einsatz nicht - wie von der Türkei
vorgeschlagen - unter das Dach der Vereinten Nationen gestellt? Warum
wurde nicht versucht, einen Waffenstillstand auszuhandeln und - falls
notwendig und möglich - die Bürgerkriegsparteien durch eine
UN-Blauhelm-Mission auseinander zu halten, wie dies in vielen anderen
Konflikten praktiziert wurde? Sind die westlichen NATO-Staaten
möglicherweise weniger an einer Demokratisierung der nordafrikanischen
und arabischen Region als an einer Wiedergewinnung der Kontrolle
unvorhergesehener politischer Prozesse interessiert?

der ganze Artikel ist über C.Ronnefeldt@t-online.de erhältlich.

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