Mittwoch

Aufklärung nur off-line?

Rezension von:
Martha C. Nussbaum "Not for Profit. Why Democracy Needs the Humanities. 
Princeton University Press 2010, 158 Seiten, 17.95 Euro



Martha Nussbaum kommt als Predigerin in der Wüste einher. Die Wüste, das ist unsere merkantile Welt mit ihrer Profitgier, ihrem Utilitarimus, dem Immer Mehr Haben Wollen. Halt, ruft die Autorin, manchmal beschwörend, manchmal verzweifelt, aber immer mit redlichem Edelmut. Man bewundert die Geduld von Nussbaum, denn das, wogegen sie anschreibt, manchmal regelrecht anrennt, dominiert ja die kapitalistischen Gesellschaften des 21. Jahrhundert: Karrierebewußte Eltern sorgen sich darum, dass ihre Kinder nicht zu viel Firlefanz wie alte Sprachen, Musik, Literatur, Philosophie unterrichtet bekommen. Trendige Manager halten von Sabbatjahren, Kultur und den Humanities überhaupt nichts, solche abwegigen Pfade stören nur die Umsatzsteigerung. 


Und da segelt nun Nussbaum auf ihrem idealistischen kleinen Überzeugungsboot, setzt ihre Segel mit Appellen, seufzt und schimpft mitunter wenn ihr der Neo-Merkantilismus ins Gesicht bläst. Man bewundert den aufrechten Gang dieser Autorin, oder sollte man besser sagen: Heldin. Allein gegen den Rest der Welt scheint ihr Motto zu sein und manchmal nimmt ihre Frontstellung schon Don Quichotte´sche Züge an. Denn gegen die Krake Marktorientierung ist schwer anzukommen. 


Dankenswerterweise sind die Humanities für Nussbaum keine l´art pour l´art, sondern wichtige Elemente im demokratischen Gemeinwesen. "The crisis is facing us, but we have not yet faced it", stellt Nussbaum mit Sorge fest, also will sie uns wach machen, aufrütteln: Vergesst den Tanz um das goldene Kalb der Eignungstests, assessement centers, Evaluationszwänge. Amerika ist besser als das alles, hat tiefere Werte. 


Leider übersieht Nussbaum, auch wenn sie natürlich den Text der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung voll verinnerlicht hat, dass 

"Life, liberty and the pursuit of happiness" nicht nur hehre idealistische Normen sind, sondern handfeste Wirtschaftsinteressen indizieren.


Nussbaum zieht alle Register aufgeklärter Erziehung und holt Denker wie Fröbel, Pestalozzi, Tagore heran, aber ob das die/den LeserIn im Zeitalter des Web wirklich überzeugt? Es ist ja überhaupt ein bemerkenswertes feature dieses Buches, dass die Autorin - sonst absolut auf der Höhe ihrer Zeit - mit keinem Wort das Internet erwähnt. Kein Wort zu den neuen Social Media wie Facebook, Blogging, Twitter. Ihr Engangement für mehr kritische politische Bildung sei der Autorin unbenommen, aber die Art und Weise wie wir uns schon seit Jahren anders als früher, nämlich hauptsächlich online bilden und informieren reflektiert sie überhaupt nicht. Deshalb bleiben ihre Argumentationsstränge schwach und nicht überzeugend, und der Rezensent kehrt letztlich doch wieder zu dem Slogan "It´s the economy, stupid" zurück. Auch eine Auseinandersetzung Nussbaums mit dem systemtheoretischen Paradigma von Niklas Luhmann, z.B. "Das Erziehungssystem der Gesellschaft" hätte in diesem Buch nicht fehlen dürfen.  


Richtig ärgerlich ist die anscheinend selbst im Jahr 2010 noch ungerübte Obamania der Autorin auf S. 136-137. Nichts gelernt aus dem Abstieg des bei der Wahl als wahre Lichtgestalt hochgestylten Präsidenten? Seine nur mit Hängen und Würgen durchgepeitschte Gesundheitreform, die jetzt vom Verfassungsgericht die rote Karte gezeigt bekommt? Sein Einknicken vor der völkerrechtswidrigen Siedlungsexpansion Israels? Die angesichts der Truppenaufstockung in Afghanistan völlig abwegige Wahl zum "Friedens"nobelpreisträger? Hier hätte der Autorin etwas mehr eigene persönliche Bildung und Aufklärung not getan.  

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