Dienstag

Der Euro: Rettung oder Abgrund?


Hans-Werner Sinn: Die Target-Falle
417 Seiten, Euro 19.90, Carl Hanser Verlag

Produkt-InformationHans-Werner Sinn lehnt weder die EU noch den Euro ab. Aber er ist ein nachdrücklicher Kritiker der bisherigen offiziellen Euro-Rettungsaktionen. In seinem neuesten Buch weist er auf eine, in der Öffentlichkeit bisher weitgehend unbekannte Gefahr durch die Euro-Krise hin: Der Umfang der sog. "Target-Kredite", deren Rückzahlung völlig ungewiss ist, stellt die offiziellen Rettungskredite für die Staaten der Südeuropa-Peripherie weit in den Schatten. 
Bildquelle: voxeu.org
Sinn thematisiert in seinem Buch zweierlei: Er erklärt, was die Target-Kredite sind und verweist auf ihre Gefahren. Zunächst zeigt er, dass die Einführung des Euros nicht aus einer einheitlichen europäischen Interessenlage heraus erfolgte. Zwischen Deutschland und Frankreich war sie eine Kompensation für die deutsche Wiedervereinigung. Für die südeuropäischen Länder hingegen war der Euro die Möglichkeit, die Zinslasten für ihre Staatsschulden zu senken und eine Basis für ein - leider unsolides - Wirtschaftswachstum, vor allem im Immobiliensektor zu bekommen. Die niedrigen Zinsen wiederum waren keine Motivation zum Sparen sondern zum noch mehr Schulden Machen. 

Daran änderte auch der sog. Stabilitätspakt nichts, durch den die Defizite der EU-Länder begrenzt werden sollten. Entgegen des Plans wurde in der Realität die vereinbarte Defizit-Marge bis 2011 in 120 Fällen überschritten, ohne dass die jeweiligen Staaten zur Rechenschaft gezogen wurden. Von wem auch? In der Versammlung der Finanzminister der EU-Länder, die eigentlich darüber hätte entscheiden müssen, saßen ja die Verursacher selber....  

Die Euro-Krise und damit verbunden auch die für Sinn (und andere) so bedenklichen EZB-Interventionspolitik begann, als die amerikanische Finanzkrise die europäischen Banken erreichten. Damit war die Zeit der niedrigen Zinsen für die Banken und Staaten der europäischen Peripherie vorbei. Die Blase war geplatzt. Nun hatten die peripheren Länder ihre Wettbewerbsfähigkeit verloren, mussten sich riesige Kreditmittel aus dem Ausland beschaffen, die aber nicht mehr zu niedrigen Zinsen zu bekommen waren. 

Wenn also der Kapitalmarkt nicht mehr zur Verfügung stand - wer finanzierte dann die Leistungsbilanzdefizite Südeuropas? Der Retter war - das mag für manche LeserInnen überraschend sein - die Europäische Zentralbank. Mittels des Kaufs von Staatspapieren der Krisenländer in großem Umfang und mittels Refinanzierungskredite für deren Geschäftsbanken intervenierte die EZB massiv, als die Kurse der Staatsanleihen in Südeuropa ins Trudeln gerieten. (Sinn weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es im strengen Sinne natürlich nicht "die EZB" war, die da gehandelt hat, sondern die entsprechenden nationalen Zentralbanken). Mit diesen Interventionen wurde eklatant gegenüber Artikel 123 des AEUV verstoßen, der den Zentralbanken eindeutig eine Monetisierung der Staatsschulden verbietet (sogar der damalige Bundespräsident Wulff hat dieses Vorgehen der EZB damals kritisiert!). 

Während der Kauf von südeuropäischen Staatspapieren durch die Zentralbanken wenigstens eine gewisse öffentliche (wenn auch letztlich leider nur folgenlose) Kontroverse induzierte, ist die Refinanzierung der Geschäftsbanken durch die EZB in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen worden. Besonders gefährlich wurde diese Refinanzierungsstrategie dadurch, dass die Anforderungen an die Sicherheiten für diese Kredite seit 2008 ständig abgesenkt wurden. 

Und weil die Zentralbankkredite im Umfang ihrer Kreditgewährung über das Maß hinausgingen, die für die Geldversorgung in den jeweiligen Ländern nötig waren, entstand eine Überlauf an solchen Krediten, die von der Wirtschaft der Länder benutzt wurden, um im Ausland Güter und Vermögensobjekte zu kaufen und Schulden zu tilgen, dokumentiert in den sog. "Target-Salden". ("Target" nennt sich das Zahlungssystem, über das internationale Zahlungen zwischen Banken im Euroraum abgewickelt werden).  So halten sich die Peripherie-Länder mit massiven "Überziehungskrediten" über Wasser. Politisch brisant ist an diesem Vorgang, dass die Target-Kredite - anders als die anderen diversen Rettungsschirme - ohne Beteiligung der nationalen Parlamenten gewährt wurden.

Die ständig abgesenkten Sicherheitsanforderungen an die Refinanzierungskredite haben es den Peripherie-Ländern ermöglicht, sich ihre Überziehungskredite quasi unbegrenzt selbst zu genehmigen. Sie lassen ihre Schulden einfach bei den Zentralbanken des Nordens anschreiben; ausgleichen müssen sie nicht, und der Kreditzinssatz von 0,75% ist vernachlässigbar. So stiegen die Targetschulden in den Peripherie-Ländern stetig an und belaufen sich mittlerweile auf knapp 900 Mrd. Euro. Da die Südeuropa-Länder auf absehbare Zeit nicht in der Lage sind, diese Schulden zu begleichen, ist die Bereitstellung immer neuer Rettungsschirme wahrscheinlich.

Gibt es einen Ausweg aus dieser Target-Falle? Sinn verweist auf die USA, wo es keine Vergemeinschaftung der Schulden zwischen den Einzelstaaten gibt und - vielleicht noch wichtiger - die Targetbilanzen jedes Jahr ausgeglichen werden müssen; ein beliebiges Ansteigen der Targetsummen ist also nicht möglich. Es bleibt abzuwarten, ob die europäischen PolitikerInnen für ein Umdenken in diese Richtung motiviert sind. 

Sinn selber ist pessimistisch, was die Zukunft des Euro-Projektes betrifft: Je mehr Schulden sich anhäufen, je grösser die Kluft zwischen Schuldnern und Gläubigern wird, umso mehr droht auch das Ziel des gesamten Europa-Projektes zu scheitern: ein Europa des Friedens und gegenseitigen Vertrauens.

Ein nicht leicht zu lesendes Buch, aber mit viel Sachkenntnis und Engagement zum Detail geschrieben. Im Anmerkungsapparat überzeugt besonders, dass die meisten Referenzen gleich als Internet-Link erscheinen und somit schnell vom Leser zur vertieften Lektüre herangezogen werden können.

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