Quelle: staufen.ag |
In der gestrigen Ausgabe des Handelsblattes greift dessen Chefredakteur Gabor Steingart unter der Überschrift "Die Marktwirtschaft und ihre Feinde" engagiert in die gegenwärtige Diskussion über Griechenland, Demokratie, Volksabstimmung ein.
Der Blogger hat sich gefreut zu lesen, wie Steingart sich auf das Topos Volksabstimmung focussiert. Ja, die politischen spin doctors in Paris, Berlin und Bruxelles haben schnell erkannt, welche Gefahr ihnen erwachsen würde, wenn das, was kurze Zeit von mancherlei KommentatorInnen für Hellas begrüsst wurde, für die Eurozone schlechthin durchgeführt würde: So schlecht sind die Euro-Akzeptanzwerte in Deutschland, inzwischen auch in France, ganz zu schweigen von Finnland und Niederlande - bei Volksabstimmungen fiele der Euro rasant durch.
Apropos Volksabstimmungen: können Sie sich vorstellen, was sich hinter folgender Frage verbirgt:
„Stimmen Sie der Gesetzesvorlage ‚Gesetz über die Ausübung von Kündigungsrechten bei den vertraglichen Vereinbarungen für das Bahnprojekt Stuttgart 21 (S 21-Kündigungsgesetz)‘ zu?“
Wow, der Blogger musste auch erst mehrmals hingucken, bis er kapierte: DAS ist die Volksentscheidfrage zum Stuttgarter Bahnhof....
Überhaupt, das Volk befragen. Man muss sich darüber klar sein, dass bei so hehrer Direktdemokratie in Deutschland wahrscheinlich wieder die Todesstrafe eingeführt würde ("Rübe runter"), von anderen, vornehmlich fremdenfeindlichen Gesetzen qua "Volkesstimme" ganz zu schweigen. Also, es hat auch was für sich, nicht völlig auf das Plebiszit zu setzen. Nichtsdestotrotz ist es merkwürdig, wie die PolitikerInnen damit jonglieren: was für Stuttgart recht und billig sein soll, wird (zum Beispiel) für einen erwartbar klaren Volksverdikt gegen den sinnlosen deutschen Afghanistankriegs-Einsatz verweigert.
Den Blogger hat im übrigen sehr die harte Kritik Steingarts gegen das maßlose deficit spending bei den - noch - reichen Euro-Ländern gefreut, das völlig ausgeuferte Anspruchsdenken, nicht nur in Berlin sondern auch in den Kommunen, wo noch immer locker Spaßbäder, neue Schulbauten Wellnessanlagen, Straßenneubauten geplant werden, ungerührt von den wirtschaftlichen Zeichen der Zeit.
Steingart thematisiert schließlich auch - wie zuvor schon sein Kollege Schirrmacher, Herausgeber der FAZ, das Verhältnis von Politik und Wirtschaft. Kann die Politik die Märkte zähmen? Lachen die Märkte die Politik aus? Ein schier unerschöpfliches Thema. Der Blogger hält es da mit der klugen Analyse von Niklas Luhmann: Wirtschaft und Politik sind in der modernen, funktional differenzierten Gesellschaft autonome Teilgebiete, und alles Reden vom "Eingreifen" und "Zähmen" verkennt eben diese Autonomie. Im O-Ton des soziologischen Altmeisters:
"Rechtfertigung und Heuchelei sind politische Optimierungsstrategien, mit denen man im Code gut/schlecht kommuniziert, ohne das ausgeschlossene Dritte, die Realität, kontrollieren können. Wie bei den Hopi-Indianern der Regentanz scheint das Reden von Ankurbelung der Wirtschaft, Sicherung des Standortes Deutschland, Beschaffung von Arbeitsplätzen eine wichtige Funktion zu erfüllen; jedenfalls die, den Eindruck zu verbreiten, dass etwas getan wird und nicht einfach abgewartet wird, bis die Dinge sich von selber wenden."
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