Sonntag
Mißbrauchte Trauerfeier
Die für den deutschen Kriegseinsatz in Afghanistan Verantwortlichen und ihre moralischen Aufrüster haben die Trauerfeier für den in Afghanistan getöteten Feldwebel dazu benutzt, die deutsche Bevölkerung, die längst nicht mehr an einen Sieg oder überhaupt noch an einen Sinn dieses Krieges glaubt, erneut hinter sich und ihre Propaganda zu schirren.
"Read my lips" sagte legendär mal Ronald Reagan, als er die US-Bevölkerung von seiner Aufrichtigkeit zu überzeugen versuchte. Also hören wir auch genau hin, was am Freitag in Selsingen gesagt wurde:
Da sprach der deutsche Militärminister vom "Wahnsinn". Wohl wahr. Aber was macht man bei selbstproduziertem "Wahnsinn" (das Wort soll wohl euphemistisch für das eigentlich wahre Wort, nämlich "Krieg" stehen)? Man sollte doch gefälligst möglichst Schluß mit dem Wahnsinn machen.
Wann sieht Guttenberg das nach so viel getöteten deutschen jungen Männern endlich ein und macht Schluß mit dem Kriegswahnsinn? Noch setzt er auf Durchhalteparolen. Anscheinend müssen wohl erst noch mehr junge deutsche Menschen sinnlos in Afghanistan sterben, ehe der Berliner Wahnsinn aufhört. Traurig genug.
Und dann funktioniert Guttenberg in gut Orwellscher Manier schnell noch den Soldateneid um: "Wir lassen junge Menschen schwören, für unser Land tapfer zu sein." Zu "sein"? Der genaue Wortlaut der Eidesformel lautet aber doch: "das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen". Es geht also eindeutig nur um die Verteidigung des deutschen Landes, nicht um internationales Kriegführen. Denn von Anfang an war die Bundeswehr eindeutig nur für die Verteidigung des deutschen Territoriums konzipiert worden.
Das Recht Deutschlands wird ja nun wahrlich nicht in Afghanistan verteidigt, wo die Bundeswehr zusammen mit den Amerikanern eher Steigbügelhalter für das Machtkartell in Kabul ist, das weder Wahl-Recht noch demokratisches Recht achtet, sondern sich unter Führung von Karzai nur mit Drogenprofiten und Korruption recht-los an der Macht hält.
Und die "Freiheit Deutschlands"?
Guttenbergs Vorgänger meint ja nach wie vor - so kürzlich wieder in seinen Memoiren - dass Deutschland angeblich am Hindukusch verteidigt werden solle. Und nicht nur da, sondern überall in der Welt muß nach Strucks Strategie Deutschland potenziell um der Freiheit willen Krieg führen, z.B. in Somalia, Yemen und sonst (Strucks Persepektive eines totalen sog. "Anti-Terrorismus"-Krieges weltweit in seinem Buch hat der Blogger schon früher rezensiert).
Wie das noch mit unserer Verfassung in Einklang gebracht werden soll, die an mehreren Stellen einen eindeutigen Friedensauftrag Deutschlands postuliert und das deutsche Militär, das erst sehr viel später als das Grundgesetz installiert worden ist, eindeutig auf die Landesverteidigung limitiert, ist dem Blogger ein Rätsel und wäre mal ein Prüfverfahren beim Bundesverfassungsgericht wert.
Und dann schnell noch die wohlbekannte Disqualifikation des Kriegsgegners. Wenn Guttenberg schon vom "Verhöhnen" spricht, sollte er doch erstmal seine Recherche-Hausaufgaben machen und die zahlreichen Verhöhnungen des Islams und der arabischen Welt studieren, wie sie tagaus tagein in der westlichen Presse üblich sind.
Und schließlich noch der katholische Militärdekan: "Die Bosheit wütet". Ja, Herr Gremier, das ist in der Tat so, und die Bosheit wütet in diesem schmutzigen Krieg ganz beidseitig, wo sich Partisanen und
CIA-Killerkommandos einander in der Bosheit nichts nachstehen.
"Die Freiheit wird mißbraucht". Was das betrifft: Haben Sie jemals auch gegen den Mißbrauch von Freiheit und Menschenwürde in den Folterkammern von Guatanamo öffentlich Stellung genommen?
Wo sind die klaren Worte Ihrer Kirche gegen die freibeuterische, nur profitorientierte Versklavung in den sweatshops der Dritten Welt?
Gegen die Machtregime in Grosny, Kinshasa, Islamabad und noch viele mehr, die die Meinungsfreiheit mit Füssen treten? Gegen die freiheitsverachtende Anti-Romastrategie in zahlreichen EU-Ländern? Gegen die immer diskriminierendere Anti-Asylpolitik in unserem Lande?
Herr Gremier, wenn Sie schon vom Freiheitsmißbrauch reden, dann aber bitte nicht einseitig und auf einem Auge blind sondern mondial!
(Zitate nach Die Welt, Ausgabe vom 16.10.10, Seite 1)
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