Vom Blogger:
Ich danke allen LeserInnen, die mir gute Wünsche für mein Lauf Comeback gewünscht haben. Gestern war ich beim Sportarzt (Team-Arzt der Hannoveraner Scorpions!). Gute Atmossphäre dort. Fühlte mich verstanden in meinem Verletzungsfrust ("ich mach doch alles richtig im Training...").
Nun "dope" ich mich mit Zink, Magnesium, Eisen; hab neue Einlagen; will auch nach Doc´s Rat gewissenhafter als früher Regenerationsphasen im Training und speziell nach VL-Starts einhalten.
Aber das Schönste war natürlich, dass ich in der Sprechstunde zum Schluß eindeutig Grünes Licht zum Weitertrainieren bekam. Bin deshalb anschliessend also gleich zu Karstadt Sport gegangen und hab mir Nike Air Pegasus (schöner Cusheon Neutralschuh) gekauft und den heute zum ersten Mal auf einer 12k Trainingsstrecke getestet.
Also wenn der take off anhält, könnten die nächsten Meilensteine tatsächlich wie in den beiden letzten Jahren meine zwei Klassiker-Starts im Oktober sein: in Lemke über 5k und den Bonner Dreibrückenlauf über 15k.
Grund genug um mich deshalb auch mental zu motivieren: Hab also aus meiner Text-Rumpelkammer den Bericht von meinem Stüder Marathon in 1998 wieder ausgegraben. Das war noch zur pre-digicam-Zeit. Aber damit´s nicht zu sehr Bleiwüste bleibt, hab ich den Text kurzerhand mit ein paar Fotos von meinem Bonner Dreibrückenlauf vorletztes Jahr garniert; eine Sportreportagen-Collage sozusagen. Und nun der Bericht:
Mein 1998 Marathonlauf in Stüde
Ich fahr mit Heike guten Muts nach Stüde, die Wetterprognosen sind passabel: Wärme mit – leider - nachmittäglichem Gewitter. Wir finden wirklich dieses winzige Dorf, und nur Enthusiasten können da, wo Fuchs und Hase sich gute Nacht wünschen, einen Marathon-Verein gründen und so eine Veranstaltung managen. Dadurch ist es aber auch sehr familiär und ich weiss, warum ich nie Hamburg, Berlin oder solche Marathon-Spektakel mitmachen werde.
Kurz vor dem Start entläd sich gleich zum ersten Mal die dunkelgraue Wetterwand, die vom Osten hoch hergezogen war, so dass wir uns um 14.55 Uhr erstmal einträchtig unter das Dach des unvermeidlichen Bratwurststandes gegenüber der Startlinie stellen. Ich lass mir sogar von Heike die eine Mütze reichen, weniger nasser Haare als dann der weniger beschlagenen Brille wegen. Und um 15 Uhr wollen dann die 33 am Start auch nicht länger warten, und ich drücke meine beim billigen Jacob für 19 Mark erworbene Digitaluhr.
Vom Springe –Marathon im Jahr zuvor gut gelernt habend reihe ich mich gleich ganz demütig ins letzte Viertel ein, „langsam, langsam, langsam“ mir einhämmernd. Und dennoch bekomm ich einen gehörigen Schrecken als ich für die ersten 1000 Meter 5:13 Minuten ablese. Mein taktischer Plan ist ja klar und geordnet: Ich habe mir 6 Minuten pro 1000 Meter verordnet, was mich auf insgesamt 4:12 Stunden bringen soll („und vor Kilometer 30 keine Experimente“!).
Also, stehen bleiben kann zwar nicht gut am Kilometer 1, drossele aber den Motor mit ganzem Willen, damit komm ich dann auch auf 5:30, 5:40 Minuten runter, aber noch am Kilometer 10 hab ich schon eine Minute auf meinen Marschplan gut, danach pendelt es sich dann auch bei 6 / 5:50 Minuten ein.
Am Kilometer 7 gibts die erste Verpflegung, und – ich hab da so meine Erfahrungen – hier merkt man, dass da Profis am Werk sind. Die rufen dir schon früh genug zu: „Wasser, Elektrolyt, Banane, Cola?“ Prima organisiert. Ich wechsle zwischen Elektrolyt und Wasser ab und in der 2. Hälfte hol ich mir auch mal Bananen, was sehr gut ist (war vorher unsicher, ob ich das meinem Magen zumuten solle).
Noch vor Kilometer 10 hört auch der Regen auf, die Sonne kommt und ich kann den Lauf so richtig geniessen. Eine herrliche Strecke, voller Grün, immer Blick aufs Wasser, absolut leise, da ausser den drei bis vier Brücken nirgends Autostrassen in der Nähe sind, ab und zu winke ich mal einem Kapitän zu. Herrlich, ich denke an meine liebe Familie und Freunde und lass mir´s so richtig wohl sein. Freue mich an meinen Nike Air Max Schuhen, mit denen ich himmlisch über den Boden schwebe. Ich fühle, wieviel Kraft ich bei dem – jetzt – richtigen Tempo in mir habe und dass die vielen Kilometer Training in den vergangenen Monaten prima gewesen sind.
Mein „Mitläufer“, der mich im wahrsten Sinne des Wortes von Anfang an „verfolgt“, ist leider ein ungesprächiger dröger Holzklotz, der vielleicht irgendeinem stumpfsinnigen Zeitplan hinterherrennt und für die schöne Landschaft und die sonnige Stimmung offenbar kein Verständnis hat. Brummelt mich nur mundfaul an, als ich ihn bei Kilometer 10 nach seiner Stimmung frage. Na ja. Aber dass er mir immer penetrant quasi auf den Hacken rumläuft, find ich weniger schön, mal abgesehen davon, dass er ruhig auch mal Führungsarbeit übernehmen könnt, der Eumel. Wir haben nämlich etwas Gegenwind auf der ersten Hälfte. Ist halt ein humorloser Berliner. Na ja, die Strecke ist so breit, dass ich mich dann auch oft neben ihn plaziere, um nicht dauernd sein nahes Geschlurfe hinter mir hören zu müssen.
Rund um Kilometer 14 fällt mir dann auf, dass der Abstand zur nächsten Läuferin, der bislang eigentlich immer 250 Meter betragen hat, kontinuierlich kürzer geworden ist. Ihr stampfender Laufstil gefällt mir auch nicht mehr – hat sich da eine übernommen? Also das ist dann mein erster GegnerIn-Kontakt und sie ist in der Tat offensichtlich zu schnell angegangen.
Zwischen Kilometer 15 und 20 ist´s etwas langweilig, und um das zu überwinden, suche ich mir noch ein, zwei vor mir aus, an dich ich mich ranmache. Das ist zwar abweichend gegenüber den geplanten 6:00 Minuten auf 1000 Meter, aber psychisch noch vertretbar. Als alter Analytiker hab ich mich auch mit viel Berechnungen abgelenkt à la „wenn Du jetzt 17 Kilometer in XXX gelaufen bist, kannst Du auf eine Endzeit von YYY kommen usw.“
Rund um Kilometer 19 höre ich dann ein Fahrradgeräusch hinter mir: Heike ist herangekommen und wir haben uns gut unterhalten.
Den Wendepunkt passiere ich in 2:04 Stunden also mit zwei Minuten Gutschrift. Dann setzt leider wieder Regen ein (Heike wartet erst mal unter einer Brücke). Das Unwetter hätte ruhig in Sachsen-Anhalt bleiben können wo es herkam – diesmal wird der Regen zum Unglück auch noch recht heftig. Mist, bald schlackert mir mein vollgesogenes Laufshirt um den Körper. Selbst trotz meiner Stirnmütze „blicke“ ich nur noch mit Mühe durch.
Aber auch in dieser widrigen Periode geht es mir letztlich doch noch ganz gut, Bananen und Wasser helfen, und auf Regen hatte ich mir auch schon im Training mental und real gut drauf eingestellt. Hab mich auch zu einer gewissen Lauf-Euphorie wenn auch nicht gerade hinreissen lassen, aber sie dennoch bejaht, so dass ich bei Kilometer 25 schon 5 Minuten schneller als der Plan bin. Egal, denke ich; natürlich ja nicht schneller, aber jetzt künstlich langsamer ist doch auch blöd. Physisch bin ich noch blendend drauf, merkte noch keinen Muskel, der Magen ist prima und mein Kreislauf sowieso.
Auch bei 30 Kilometern „bin ich meiner Zeit immer noch fünf, sechs Minuten voraus“. Die Verpflegungsstelle bei Kilometer 31 habe ich mir innerlich als die Stelle markiert, wo ich überlegen will, ob ich ab da ernsthaft die Entscheidung suchen solle. Einmal gegen den dummen Fersentreter hinter mir, aber auch als challenge gegen den eigenen Zeitplan.
Der Verfolger-Oldie ist inzwischen auch einem anderen auf die Nerven gefallen, dem deswegen eine Trinkflasche hinfällt und den er dann auch noch rempelt. Blöd so was. Wo denn sonst wenn nicht beim Marathon kann man doch wirklich Abstand halten, ohne sich was zu vergeben (kommt ins Teilnehmer-Beschwerdebuch).
Bei Kilometer 33 hab ich´s dann gewagt. Heike, die mich gut kennt, frägt, als offenbar so ein gewisses Funkeln in meine Augen kommt: „Willst Du jetzt anziehn, Du Trotzkopf?“ „Klar“, sage ich, „Du weißt doch: einer muß es ja machen“. Und mit diesem Satz mich selber mental dopend reisse ich dann eine Lücke zwischen dem Berliner und mir auf. Damit der mal sieht, was Sache ist. Hab rasch zehn, zwanzig, bald fünzig und bei Kilometer 35 auch über 100 Meter Vorsprung rausgelaufen. Ich liebe klare Verhältnisse!
Aber jeder Spurt hat seinen Preis. Das merke ich auf den kommenden Kilometern. Irgendwie hat mir noch träumerisch vorgeschwebt, wie es ist, wenn ich unter 4 Stunden ins Ziel komme. Aber bald siegt der Realist in mir, ich mache einen guten, befreiende neuen Plan: „Besser als in Springe wirst Du allemal sein und das ist das Ziel - also sei zufrieden“. Ich kehre also ganz freundlich und ohne Gesichtsverlust zu den vertrauten 6 Minuten für 1000 Meter zurück, so dass ich die Kilometer 36, 37, 38 auch gut überstehe. Das ist eine gute Entscheidung, mental wie physisch. Ich erhole mich beim langsameren Tempo.
Denn jetzt geht es doch ans Eingemachte. Bei weitem nicht so schlimm wie in Springe, nie hab ich irgendwann das Gefühl, das schaffst du nicht. Nie muss ich gehen oder denke überhaupt an so was. Aber auf der Kraftskala sind es jetzt nur noch die letzten 10%, die zur Verfügung stehen. Der Tacho ist noch nicht auf Null wie in Springe, aber ich laufe doch schon im roten Bereich. Die Waden tun weh, die Energie nimmt ab, auch etwas mentale Dysmotivation will ich nicht leugnen.
Dann lenke ich mich nochmals mit Berechnungen ab: Wenn du die letzten drei, vier Kilometer in 6 Minuten läufst, was gibt das für eine Endzeit? Und noch ein anderes Auto-coaching hilft: Ich stelle mir meine tausendfach vertraute Trainingsstrecke zu Hause vor, wo dort der Kilometerpunkt 3, 2, 1 ist.
Heike radelt neben mir, gibt mir zu trinken und beruhigt mich (meine Hauptsorge...!), dass der Abstand zum Berliner immer noch 100, ja jetzt vielleicht schon 120 Meter sei.
Das motiviert mich sogar, noch den Abschnitt von Kilometer 39 auf Kilometer 39,5 in einem Zwischenspurt (!) anzugehen, müssen wohl so 2:30 Minuten für diese 500 Meter gewesen sein. Später wird sich zeigen, dass ich die zweiten 21 Kilometer zwei Minuten schneller als die ersten gelaufen bin. Also das geht doch noch, sage ich in mich hineinlachend = „Marmor, Stein und Eisen bricht, aber unsere Liebe nicht“.
Und dann, dann, endlich kommt um die Kurve herum die letzte Kanalbrücke in Sicht, die allerletzte Brücke, meine End-Brücke, die Brücke aller Brücken. Heike friert so, dass sie schneller losradelt.
Das Kilometer-Schild 40 wird in 3:55 Stunden passiert. Aber ich weiss, vor der Brücke geht’s noch mal hinauf (!), die einzigste Steigung auf dieser Strecke. Scheisse. Aber der Berliner ist noch gut hinter mir. Heike macht von der Brücke hoch über mir ein Foto von mir.
Also jetzt die Brückenböschung hinauf, ja: hinauf!, ich seh´ das letzte Kilometerschild „41“.
Jetzt nicht nachgeben, nicht nachlassen. Ich dreh mich unter Schmerzen um und seh´ das rote Trikot des Berliners durch meine feuchte Brille, aber noch beruhigend weit hinter mir. Nach der Brücke geht’s hinunter. Kurze Desorientierung, wo die Streckenführung zum Ziel ist. Da hinten, nach links, ruft Heike. Ja, da ist das Telefonhäuschen beim Start. Letzter Blick nach hinten: jaaaaa, der Berliner wird „das“ nicht mehr schaffen, wird mich nicht mehr packen.
Fünf Minuten nach 19 Uhr zeigt die Uhr. Ich sehe die Ziel-Flagge vor mir. Ich befehle mir: Lächeln, spurten, die Uhr drücken. Sie zeigt 4:06:13. Phantastisch!
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