Montag

Einer trage des Anderen Last

Vergangenen Samstag traf ich mich guten FreundInnen im Calenberger Land. Der Referenzpunkt unseres Gruppe ist das Christentum, wie unterschiedlich wir es auch immer begreifen. Wir wollten uns über den Spruch der letzten Woche austauschen: "Eine trage der anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen" (aus dem Brief, den Paulus in die Gegend um das heutige Ankara geschickt hat). 





Helmut hat uns eine gute Einführung zu dem Text gegeben, aber bevor wir darüber diskutieren konnten, haben uns dann doch aktuelle Tagesthemen überrollt. Aber ich hatte die Gelegenheit benutzt, schon vorher zu Hause über diesen Satz nachzudenken. Früher als noch mehr geheiratet wurde, war er ein Klassiker für die Hochzeitszeremonie. Aber vielleicht steckt da mehr dahinter als nur ein Motto für den Start zu einer ungewissen Lebensreise zu zweit. 





Ich arbeite also meinen Fragenkatalog ab:

Was ist das "Gesetz Christi"? "Gesetz"? Von dem, der uns doch von allen Konventionen, Vorurteilen und Denkschablonen befreien will? Ich komme ins Grübeln, aber selber fällt mir dazu nichts mehr ein. Ich erinnere mich aber eines Textes meines hochverehrten akademischen Lehrers Paul Tillich in dem er der Frage nachgeht: Von welcher Last will uns Christus befreien und warum kann er sagen "Meine (= eigene, d.h. Christi) Last ist leicht"? (Matthäus-Evangelium 11, 28-30). 





Tillichs Rede (dokumentiert in: P.Tillich "In der Tiefe ist Wahrheit", Stuttgart 1952) gipfelt in der eindrucksvollen Einladung (nachfolgend sinngemäss zitiert): "Von uns Mühseligen und Beladenen wird nichts verlangt, keine Gottesvorstellung, nicht. dass wir gut sind, nicht, dass wir moralisch sind, nicht, dass wir weise sind, nicht , dass wir religiös sind, nicht dass wir Christen sind". Ein steiler Satz, den EKD-Bürokraten und LKA-Oberkirchenräte vielleicht nicht gerne hören. Was von uns verlangt wird, so fährt Tillich fort, ist einzig, dass wir das Geschenk Christi annehmen, das im "Neuen Sein" (die zentrale Dimension in Tillichs Denken), in seinem Leben anschaubar wird: Liebe, Gerechtigkeit und Wahrheit.





Aber ich frage weiter: Was heißt "erfüllen"? Zu Ende bringen? Sicherlich doch nicht - vgl. Tillich - im Sinne eines Leistungsnachweises. Und wer ist "die Andere"? Wohl die, mit der ich unmittelbar zu tun habe. Und: Wie kann ich "tragen"? Richtige Lasten, wie einen schweren Sack, kann ich versuchen, mit Engagement jemandem abnehmen. Ich kann auch im Bahnhof jemand mal n Koffer schleppen. Aber wie steht´s mit der Entlastung bei seelischen Problemen? Ich kann ja doch nie exakt die andere werden, auch wenn ich sie entlasten will. Ihr Beziehungsproblem, seine Arbeitslosigkeit, die Krebserkrankung meines Nachbarn - all das kann ich ja nicht übernehmen mit einem lockeren "Na gib doch her, das schultere ich mal für dich". Also, bei solchen seelischen, geistigen Lebenslasten ist wohl mehr gefragt als nur breite Schultern und gute Bizeps. Ich denke, da braucht es: Mit-Leid, Empathie, Solidarität. 





Gerade das letzte dieser drei Worte kommt im Neuen Testament nicht vor. Kein, für dieses Wort im strengen präzisen Sinne war in der griechischen und jüdischen Welt damals kein Raum. Natürlich gab es dort gegenseitige Hilfe und Unterstützung, aber - versteht sich: nur von Römer zu Römer und Grieche zu Grieche. Das Christentum hat gegenüber der römischen und griechischen Antike dann den entscheidenden weiteren Schritt gemacht: Solidarität nicht nur zu Leuten der eigenen Kultur, sondern zu allen Menschen. 





Und Jesus hat bemerkenswerte Beispiele gegeben, die über das Utilitarismus-Prinzip hinausgehen: Wenn jemand dich bittet, dass du eine Meile mit ihm gehen willst: geh gleich zwei mit ihm. Wenn jemand vor dir deinen Rock haben will, gib ihm gleich den Mantel dazu. Eine großartige Perspektive: Kein enger Krämergeist, der ängstlich darauf bedacht ist, dass ich auch schleunigst und absolut sicher meine verliehenen 10 euro pünktlich morgen um 10h wieder bekomme. Statt dessen: Freigebigkeit, großzügiges Denken, ein offenes wohlwollendes Herz jenseits alles engen Kalkulierens und ängstlichen gegenseitigen Aufrechnens. 





Vielleicht haben sich unsere französischen Revolutionsvorfahren auch deshalb gerade diesen Dreiklang auf ihre Trikolore geschrieben:







Liberté

 

Egalité

 

Fraternité









Und fraternité kann man problemlos mit dem etwas modernen solidarité ersetzen. 





Ich merke: In dem kleinen Paulus-Satz steckt schöne  Dynamik drin.









(Quelle für das 2. o.a. Bild: www.jugendkorbinian.de)

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