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Wolfgang Prosinger: In Rente. Der grösste Einschnitt unseres Lebens.
Rowohlt Verlag. 2014. 240 Seiten. 19.95 Euro
“Silver Ager”, “Die jungen Alten”, “Das Beste kommt mit 60” - solche und andere ähnliche Wohlfühl-Worte umschmeicheln die Generation 60 plus. Sie kommen mit so viel Reverenz dem Alter gegenüber daher, dass man es fast kaum noch erwarten kann, endlich dort zu sein, wo die große Freiheit beginnt: Am Beginn der Rente.
In seinem gleichermaßen nüchternen wie einfühlsamen und gut recherchierten Buch stellt sich Prosinger dezidiert gegen diesen Euphemismus. In seiner Geschichte lässt er uns an den Gedanken, Empfindungen und Leiden seines Protagonisten Thomas Hecker teilhaben - vor und nach dessen Rentenbeginn. Erfrischend realistisch ist dieses Buch und Prosingers Schreibstil. Es geht hier sehr wirklichkeitsnah zu, sei es im Wartebereich bei der Rentenversicherung, beim Abschiedsessen mit den Kollegen im Betrieb oder bei der Eskalation in der Beziehung zwischen Hecker und seiner Partnerin, die seinen Rentner-Abturz in die Bedeutungslosigkeit nicht versteht.
Aber Prosingers Buch geht über den Tagebuchstil, der das Drama eines Lebens, das sich von einem Tag auf den anderen verändert, hinaus. Immer wieder flicht der Autor harte unangenehme Fakten aus der deutschen Demographie ein. Dabei verknüpft Prosinger sehr geschickt solche soziologischen und politischen Präsentationen zur allgemeinen Rentenproblematik ganz eng mit dem Alltag und den persönlichen Reflexionen des konkreten Rentners Hecker. Hier wird nicht abstrakt belehrt, sondern statistische Informationen nehmen in einem einzelnen Menschen anschauliche Gestalt an.
Und auch da bleibt der Autor erfreulicherweise nüchtern: Ohne zu beschönigen schildert er, wie der Journalist Hecker zwar längst, bevor er 65 Jahre alt wird vom Ende des Generationenvertrages, von Altersarmut und der Instabilität von Riester-Renten gelesen hat. Aber erst jetzt, als Hecker seinen Rentenbescheid in den Händen hält, werden solche Informationen real. Unangenehm real: Mit 1060 Euro brutto von der DRV weiß Hecker, dass er sich von mancherlei Liebgewordenen trennen muss: von seinem Auto, seinen Zeitungsabonnements, seinen Reisen und Restaurantbesuchen. Und er weiß zugleich (was ihm Zufallsgespräche mit anderen Rentnern, die nur die sog. Grundsicherung erhalten, bestätigen), dass er mit diesem Auszahlbetrag noch zu den Privilegierten gehört. Aber auch andere Themen wie die Geschichte der Arbeit, der Umgang mit dem Alter in früheren Zeiten und die zunehmende Altersarmut verknüpft Prosinger nahtlos mit dem persönlichen Verrentungs-Schicksal Heckers.
Das Buch liest sich flüssig, bisweilen richtig spannend, zum Beispiel wenn man neugierig wird, in welche faktischen oder psychologischen Untiefen Hecker in seinem Rentner-Schicksal wohl noch kommen wird. Das Schicksal eines Mannes “ohne Arbeit und ohne Plan”. Prosinger beschreibt die einzelnen Stationen von Heckers Abstieg mit gutem klaren Blick: Die Angst in den Gesichtern der Antragsteller bei der DRV, Heckers Schreck über den niedrigen Rentenbetrags-Bescheid, die notwendige Umstellung vom eiligen Stundenrhytmus in nun so zäh fließende Tage und Wochen (Hecker zu sich selber: “Langsam, du musst gegen die Zeit arbeiten, du hast zuviel davon”), das immer stärkere Denken in der Vergangenheit, die Stille, das Anschalten des Fernsehers schon am Vormittag, Langeweile, die Erkenntnis welch eine Droge die Arbeit für Hecker war, die Leere, der Alkohol, das Denken an den Tod, die Einsamkeit, schließlich die Beziehungskrise.
Und die vielen Lügen! Man könnte das Buch sogar entlang der Kategorie “Renten-Lügen” lesen: Die Lügen in der Sprache (“Silver Economy”, “Best Ager”, “Oldies sind Goldies”), die Lügen der Politiker (“die Renten sind sicher”), die Lügen der Rentner untereinander (wie wundervoll Leben ohne Arbeit ist), die Lügen der Verabschiedung (“du bist unersetzbar”), die Lügen gegenüber der Partnerin (“es geht mir prima”) und schließlich das Sich Selber Belügen.
Mit seiner Kombination von guten soziologischen und politischen Überlegungen zum Alter und zur Rentenentwicklung zusammen mit einer einfühlsamen Rentner-Biografie, in der dieser Lebensabschnitt jenseits von Zahlen und Beschönigungen sehr, bisweilen sogar erschreckend, konkret wird, ist Prosinger ein hervorrangendes Buch gelungen. Und das Buch endet mit einer schönen Wendung, die hier nicht verraten werden soll, außer mit dem Zitat: “Ich glaube, dass ich das jetzt besser kann mit dieser verfluchten Rente”.
Burkhard Luber
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