Dienstag

Neue Bonhoeffer-Biographie

Quelle: planet-wissen.de


Ein guter alter Freund in den USA hat mich auf die neue Bonhoeffer-Biographie von Eric Metaxas aufmerksam gemacht, die letztes Jahr auch in deutsch erschienen ist (bei Amazon auf Englisch 12.89 euro, auf Deutsch 29,95 euro). 


Die nachfolgenden Gedanken kamen mir bei der Lektüre der fast 600 Seiten der US-Ausgabe. Natürlich erheben sie nicht den Anspruch einer richtigen Rezension. Ich schreibe einfach auf, was mir durch dieses Buch an Bonhoeffer wichtig geworden ist. 


Wie viele Menschen, die sich entweder für moderne Theologie oder für den Widerstand gegen Hitler oder auch für beides interessieren, hatte ich vor der Buchlektüre ein traditionelles Bild von Bonhoeffer, eine Sammlung diverser Informationen aus Zeitschriften, deutsche Biographien, Bücher von Bonhoeffer selber. 


Metaxas´ Buch hat meinen Kenntnishorizont erheblich erweitert und vertieft. Der Autor hat sich erfolgreich der großen Mühe unterzogen, das Leben Bonhoeffers, seine Persönlichkeit, seine Theologie, die Weimarer Republik, den Aufstieg und das Ende des Nazi-Regime gleichermaßen angemessen darzustellen. Dementsprechend legt er ein Gesamtbild vor, das diese einzelnen Dimensionen prägnant schildert und aufeinander bezieht. So entsteht neben der Präsentation von Bonhoeffer auch eine Art geschichtlicher und kultureller "Deutschland-Kosmos" der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. 


Prägnanter Eindruck aus der Jugendzeit: Bonhoeffers Musik-Leidenschaft inklusive eigener Kompositionen und ein großes Feingefühl für demokratischen Umgang in der gemeinsamen Kammermusik-Praxis. 


Der Erste Weltkrieg unterbricht die Idylle des Berliner Hauses der Bonhoeffer-Familie. Der älteste Sohn stirbt an der Westfront. Dietrich entschließt sich Theologie zu studieren, zunächst in Tübingen. Eine Reise nach Rom zusammen mit seinem Bruder Klaus macht großen Eindruck auf ihn und lässt ihn engagiert über die Frage "Was ist die Kirche" reflektieren und das zu einem für einen Lutheraner nicht gerade gängigen Anlaß: Eine Palmsonntag-Messe im Petersdom. Nach drei Studienjahren in Berlin macht Bonhoeffer ein Auslandsvikariat in Barcelona. Seine Spanisch-Kenntnisse sind so gut, dass er Cervantes "Don Quichotte" im Urtext lesen kann. 


Die Jahre 1930-1931 verbringt Bonhoeffer in den USA. Mit der scharfen Kontroverse dortiger liberaler und fundamentaler Theologie kann er nichts anfangen. Umso größere Eindrücke machen auf ihn die "Negro Churches" in Verbindung mit einem Aufenthalt im Süden der USA und in Mexiko: "When I took leave of my black friend, he said to me: Make our sufferings known in Germany, tell them what is happening to us, and show them what we are like". Bonhoeffer kaufte Schallplatten mit Negro Spirituals und brachte sie in seine spätere Ausbildungstätigkeit in Deutschland ein.


Wieder zurück nach Deutschland übernimmt Bonhoeffer einen Lehrauftrag an der Universität Berlin und lässt dabei die Studierenden unter anderem an seinen Erlebnissen mit der farbigen Kirche in den USA teilhaben. 


Schon kurz nach der Machtergreifung Hitlers macht Bonhoeffer in einer Predigt seine eigene Position deutlich und seine Erwartung an die Kirche, dass sie diesem "Führer" ohne Wenn und Aber zu widerstehen habe. Bonhoeffer geht sogar noch weiter, dass er von der Kirche fordert, in jedem Fall sich auf Seite der Opfer zu stellen, auch wenn sie nicht Mitglieder der Kirche sind. Und "nur" Solidarität mit den Opfern von Unrecht und Gewalt ist Bonhoeffer nicht genug, man muss auch "dem ungerechten Rad in die Speichen fallen." Das führt Bonhoeffer konsequent in die Mitgliedschaft der Bekennenden Kirche, für die er 1935-1937 die Ausbildung angehender Pastoren übernimmt - nicht nur theologisch, sondern auch als persönliches Vorbild, dem Trägheit, Unfairness, Eitelkeit schon seit seiner Jugend fremd gewesen ist. 


Kurz bevor er zur Wehrmacht eingezogen werden soll, reist er erneut in die USA. Doch die Situation in Deutschland lässt ihn auch dort in Gedanken nicht los. Schon nach vier Wochen reist er wieder zurück nach Deutschland. Mit großer Klarheit sieht er Hitlers Weg in den Weltkrieg voraus und ruft deshalb zum gewaltfreien Widerstand und zu einem weltweiten ökumenischen Friedenskonzil auf ("Frieden statt Sicherheit"), was bis in die Friedensbewegung der 80er nachgewirkt hat. 


Nachdem eine Ausbildungstätigkeit für Bonhoeffer unmöglich geworden ist, schliesst er sich der Widerstandsgruppe gegen Hitler an. Er verlobt sich mit Maria Wedemeyer. Im April 1943 wird er verhaftet und ins Gefängnis Tegel gebracht, im Oktober 1944 ins Gestapo-Gefängnis in der Berliner Prinz-Albrecht-Strasse, wo er unter anderem das Lied "Von guten Mächten" schreibt. Er stirbt am 9. April 1945 im KZ Flossenburg. Er geht in den Tod mit derselben unbeugsamen tapferen und gottzugewandten Haltung, die sein ganzes Leben charakterisiert hat. 


Wie schon gesagt: Diese Zeilen im Blog sind weit entfernt von einer fundierten Rezension im klassischen Sinne. Insbesondere habe ich auf eine Würdigung seiner Theologie verzichtet. Aber ich habe durch Metaxas´ Buch Bonhoeffer ganz neu erlebt. Bisher kannte ich ihn nur oberflächlich, nun aber tiefer: Die große Übereinstimmung seiner Theologie mit seinem Leben, seinen Mut, seine Menschenzugewandtheit, den hohen Anspruch, den er an sein Leben stellte. 


Es ist beeindruckend, dass dieses Buch von jemand geschrieben wurde, der sich erst in die deutsche Sprache hineinlesen musste. 

Montag

Gauck - kritisch-wohlwollend kommentiert

Ein bemerkenswerter Kommentar von Andreas Theyssen zum neuen Bundespräsidenten in der heutigen FTD auf Seite 24. 

Mittwoch

Ein Grieche blickt auf Hellas


Nikos Dimou:
Über das Unglück, ein Grieche zu sein 
Verlag Antje Kunstmann. 80, Seiten, Euro 7.95


Blog-Leser Winfried Stanzick hat freundlicherweise folgende Rezension zu diesem bemerkenswerten Buch über Griechenland zur Verfügung gestellt:

"Auf ein solches Buch hat man in Europa gewartet. Neben den eindrucksvollen Interviews, die der in Deutschland sehr beliebte Schriftsteller Petros Markaris in den letzten beiden Jahren zum finanziellen und volkswirtschaftlichen Abstieg Griechenlands gab (mit "Faule Kredite" hat er dem Thema ein ganzes Buch gewidmet) ist der hier nun zum ersten Mal auf Deutsch vorliegende Aphorismenband des bekannten griechischen Philosophen Nikos Dimou ein aufschlussreiches Dokument. Das Buch ist schon 1975(!) zum ersten Mal erschienen und hat nun nach seiner Wiederveröffentlichung in Griechenland sofort die Bestsellerlisten erobert.
Schon 1975 schrieb Dimou etwa: "Ein Grieche tut alles, was er kann, um die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit zu vergrößern." Und regelrecht prophetisch, wenn man den aktuellen Zustand des Landes anschaut: "Mit Methode und System, die unserem täglichen Leben und unsere Arbeit fehlen, konzentrieren wir uns auf unsere geheime Mission: das wunderbare Land, das uns das Schicksal zugedacht hat, so effektiv wie möglich zu zerstören."

Deutsche Leser, die vielleicht seit Jahren mit Entsetzen beobachten, wie jede neue Milliarde, für die sie auch als Steuerzahler haften werden, im griechischen Sumpf verschwindet, mögen diese Aphorismen eine Lektüre sein, die ihnen großes Vergnügen bereiten. Für einen griechischen Leser jedoch sind sie eine Qual, denn sie zeigen ihm "das Grundproblem seiner Existenz, sein Verlangen nach mehr und seine Unfähigkeit, sich mit weniger zu begnügen."

Dem Rezensenten wurde bei der Lektüre, die ihn nur selten zum Lachen brachte, mehr als einmal deutlich, wieso in den vergangenen beiden Jahren die EU mit ihrem Mitgliedsland Griechenland solche Probleme hatte. Und auch, warum das Vertrauen in die Griechen, sollte es jemals wirklich bestanden haben, zurzeit völlig aufgebraucht ist. Die Wahlen im April werden zeigen, ob das Volk weiter für seinen eigenen Abstieg in den Untergang stimmt.

Das neu aufgelegte Buch von Nikos Dimou will dazu beitragen, im eigenen Land zu wirken und in Deutschland etwa zu zeigen, dass es auch eine konstruktive Sicht der Dinge gibt, bitter realistisch, aber nicht ohne Hoffnung für ein geliebtes Land. Er schreibt über sein Buch 2012:
Es sei "ein bitteres Nachdenken" über das tragische Schicksal des Landes, "gespalten zu sein zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Norden und Süden, Osten und Westen. Es ist eine Liebesserklärung an Griechenland, das wahre, das tiefe Griechenland - und nicht das oberflächliche Land der Mythen, das die Griechen selbst geschaffen haben, um der Realität zu entkommen."
 
Er sei kein Anti-Grieche, sagt Dimou, sondern ein Mann, dem seine Heimat am Herzen liege. Er wolle seinen Mitbürgern helfen, dem delphischen Motto "Erkenne dich selbst" zu entsprechen. Doch ihm ist klar:
"Das kann eine schmerzliche Prozedur sein, wenn deine Mentalität, deine Erziehung dich von Anfang an gelehrt haben, die Wahrheit zu meiden. Griechenlands gegenwärtige missliche Lage ist zu großen Teilen das Ergebnis dieser Mängel im nationalen Charakter. Um es mit aller Emotion zu sagen: Die Griechen müssen sich neu erfinden, wenn sie in der heutigen Welt überleben wollen."

Weitere Milliarden dort hinzupumpen, wird diesen schmerzlichen Selbsterkennungsprozess einer ganzen Nation nicht fördern, sondern die von Dimou beklagte Haltung nur noch verlängern. Die, die jetzt in Griechenland auf den Straßen protestieren und Häuser anstecken, sind Teil des Problems. Wenn sie nun alles dem "Staat" als Schuldigen zuschieben, zeigen sie genau die Einstellung, die Dimou schon 1975 (!) beschrieben hat. Man sollte den Finanzministern und den Regierungschefs der EU-Länder ein Exemplar dieses erhellenden Buches zusenden vor ihren nächsten Entscheidungen."

Montag

Schubert Klaviersonate D 894 G-Dur

Ein guter Freund hat mir diese Komposition nahegebracht. In einer Einspielung von Mitsuko Uchida von 1996. Ich kenne Schubert kaum und war sehr beeindruckt. 


Für den Ersten Satz "Molto moderato cantabile" nimmt sich Uchida über 18 Minuten Zeit. Es soll Pianisten geben, die sich sogar mehr als eine halbe Stunde dafür nehmen. Das ist schon kompositorisch selten. Aber das Thema des ersten Satzes ist so bewegend, dass man es immer wieder hören mag und damit guten Herzens einschlafen kann. Die/der HörerIn sollte aber genügend Geduld, Konzentration und Empathie mitbringen. 


Ganz zum Schluß wurde ich traurig. Hatte ich es recht gehört: das Thema soll(te)... wieder erklingen, aber es erklang nicht mehr. Nicht mehr ganz. Eine Hemmung hörte ich. Bruch. Bruchstücke. Un-vollendet. Bitte, wollte ich sagen, spiel´ es vollständig. Aber es erklang nicht mehr vollständig. Darf man sagen: In der Ewigkeit möge er es zu Ende spielen. 


Quelle: classical.net

Mein Freund meinte, der Grund sei, dass das Thema eigentlich ewig weiter singen will, es aber auf Erden doch auch sein Ende finden muss. 


Ich verstehe das schon, dass Sehnsucht nach Ewigkeit und temporale Endlichkeit in Spannung zueinander stehen, aber der tonale Schluß bei dieser Sonate hat mich doch etwas unruhig werden lassen. Da hörte ich eher heraus: Schubert "schafft" das Thema nicht mehr, es ist ihm abhanden gekommen. 


Mein Freund nennt diesen Satz "unendlich traurig und gleichzeitig unendlich tröstlich". Eine Formulierung mit großer Spannweite, 
Traurigkeit und Trost so aufeinander zu beziehen. Romantisch sein, damit assoziierte ich früher "verspielte Personen in bunten Röckchen". Darüber bin ich in Gesprächen mit Freunden, die es besser wissen, hinaus gekommen. Aber letztlich konnten auch sie mir keine Antwort geben, warum "Die Schöne Müllerin" oder gar "Die Winterreise" so schlimm ausgehen. Mit viel gutem Willen, kann ich vielleicht noch beim Ersten in "Baches Wiegenlied" etwas Trost finden, aber im "Leierkastenmann"?

Mein Freund hat mich noch auf den Kontrast zwischen Beethoven und Schubert hingewiesen: Bei Beethoven die Exposition der Themen, ihr Widerstreit, ihre Versöhnung. Man denkt darüber nach im Kopf, wenn man die Musik hört. Bei Schubert: Gesungene, gemalte Melodien, für deren Gesang und Farbe sich Schubert viel viel Zeit nimmt, indem er die Themen-Melodien immer neu färbt, mal dunkler, mal heller, mal weicher, mal härter. 

Schubert soll gesagt haben: "Ich kenne keine heitere Musik".

Dowland hat ein Stück komponiert: "Semper Dowland, semper Dolens". Und viele viele "Lachrimae".

Mittwoch

Hellas und der Euro

EU Commission vice president Neelie Kroes (über den möglichen Austritt Griechenlands aus der Eurozone):


„It is absolutely not the end of the world if someone gets out“


(zitiert nach dem heutigen Eurointelligence Morning Briefing)

Freitag

Das Ende der Nato-Strategie in Afghanistan

Aus einem Kommentar in der FTD vom 2.2.2012, Seite 25:



"Es ist nicht nur die – seit Jahren bekannte
– Unterstützung aus Pakistan, die
die Taliban so stark macht. Es ist die
viel zu lange auch vom Westen stillschweigend
geduldete, wenn nicht
sogar durch viel Geld und falsche
Personalauswahl geförderte Korruption
im Land, die zum größten
Einfallstor für die Taliban geworden
ist. Die Erinnerung an die Terrorherrschaft
der Radikalislamisten
verblasst eben, wenn man im befreiten
Afghanistan erleben muss, wie
derjenige überall weiterkommt, der
Richter und Beamte besticht.
Wer eine Rückkehr der Taliban
verhindern will, muss ihnen diesen
Trumpf nehmen, die Korruption im
Land endlich genauso bekämpfen
wie die Radikalislamisten. Es wäre
die schlimmstmögliche Niederlage
für den Westen, wenn die Taliban
den Kampf am Ende nicht militärisch,
sondern moralisch gewinnen."