Montag

Hintergrundsbuch zur Euro-Krise

Rezension von
Jens Peter Paul: Zwangsumtausch. Wie Kohl und Lafontaine die D-Mark abschafften. Peter Lang AG Frankfurt 2010. 344 Seiten. 49.80 Euro


Autor Dr. J. P. Paul
Eigentlich eine gute Zeit für ein Euro-kritisches Buch, jetzt wo der Zweifel am Bestand dieser Währung immer breitere Kreise in der Politik erfasst - von der Bevölkerung ganz zu schweigen. 


Jens Paul legt hier - ganz klar wird das leider nirgendwo gesagt - die Buchfassung seiner Dissertation zur Euro-Einführung vor. Es soll eine exemplarische kritische Monografie über politische Entscheidungsprozesse in Deutschland sein. Der Autor wehrt sich gleich zu Anfang dagegen, dass seine Kritik plattes politikerInnen-bashing sei. Das Hauptproblem ist offenbar im Berliner Politikbetrieb, S. 10, ein "gefährlicher Mangel an Courage und Gestaltungswillen" bei den politischen AkteurInnen. 


Das mag so sein, aber warum Paul dann eine Seite weiter geradezu einen fast jämmerlichen Kotau vor den armen überlasteten MdBs macht, bleibt schleierhaft. Denn: Wer auf den Zug der politischen Karriere aufspringt, weiß doch genau, was auf ihn zukommt und wenn er das nicht will, soll sie das gefälligst bleiben lassen. 


Bemerkenswerterweise erwähnt Paul mit keinem Wort die immensen finanziellen und anderen Privilegien, die die Abgeordnetenkarriere so mit sich bringt: dicke Einkünfte, schnell erworbener Rentenanspruch, DB-Freifahrten etc etc.
Also so schlecht, wie Paul es hier beschreibt, kann es unseren Abgeordneten dann doch nicht gehen - warum gäbe es sonst die großen Rangeleien, wenn es um die Besetzung der Landeslisten vor den Bundestags-Wahlen geht? 


Paul stellt in den Mittelpunkt seiner Abhandlung die Legitimität der Euro-Einführung. Leider steht im ganzen Buch keine wirklich handfeste saubere Definition dieses Begriffes. Im Sachwortverzeichnis findet sich auch keine Referenz - es gibt ein solches nämlich gar nicht. Wie ein Verlag ein solches Buch ohne Sachregister publizieren kann, ist eine Merkwürdigkeit eigener Art bei dieser immerhin 50 Euro teuren Publikation. 


Wir verstehen zumindest, dass Paul mit Legitimität nicht juristisch einwandfreies Verfahren meint. Aber was ist Legitimität dann? Moral? (Niklas Luhmann würde hier nur lachen). Platte Akzeptanz in der Bevölkerung? (aber die Wiedereinführung der Todesstrafe hätte auch hohe Akzeptanz, das kann Paul hoffentlich nicht meinen). Also verkommt der Begriff etwas schwammig zu einer gewissen Befindlichkeit, good-feeling, "ihr (Bevölkerung") seid ok, wir (Politiker) sind ok". 


Ab S. 39 geht das Buch dann richtig los. Mit einem Duktus, der analytische Sprache mit einer Unmenge von Zitaten kombiniert. Das soll wahrscheinlich Authentizität in der Darstellung signalisieren, vermiest einem jedoch die Lesefreude, weil man alle paar Minuten zwischen unterschiedlichen Drucktypenfonts und zwei unterschiedlichen Sprachebenen hin und her springen muss. Kontinuierliche Lektüre wird dadurch nicht möglich. 


Aufatmend hat sich Unbequeme Blogger schließlich bis Kapitel 13 durchgekämpft mir der endlich erlösenden Überschrift "Zusammenfassung". Die erstellt Paul so, dass er gravierende Kommunikationsdefizite zwischen PolitikerInnen und Bevölkerung und innerhalb der Berliner politischen Klasse konstatiert und - das haben wir durch die Lektüre hindurch schon vermutet - eine großes Legitimationsdefizit bei der Euro-Einführung. 


Gut das zu wissen in der jetzigen Euro-Chaos-Debatte. Aber irgendwie ist es auch finanzpolitisch-praktisch erfrischend in 2011 zu erleben, dass es dem Euro nun nicht an den Kragen geht, weil er nicht genügend politische Legitimation für sich reklamieren kann, sondern weil die Märkte genüsslich PolitikerInnen vor sich hertreiben, die die Mechanismen dieser Märkte weder verstehen noch wahrhaben wollen. Die Märkte kümmern sich n feuchten Kehricht um Legitimation oder Delegitimation des Euro, sondern sie wetten fröhlich zäh darauf, dass sich der große Paris-Berliner Schwur "Wir retten den Euro, koste es was es wolle" als leerer Bluff entpuppt - klassisch wie Andersens "Des Kaisers neue Kleider".


Abschliessend noch zwei Ärgerlichkeiten am Rande: Dass Paul der politischen Kaste in Berlin mit Respekt begegnen will, sei ihm unbenommen. Warum er aber in barocker Opulenz seinem Interview von Ex-Kanzler Kohl, dessen drei Vornamen, Ehrenbürgerschaft und Ehrendoktorhüte voranstellt, ist schon fast eine Posse an Subalternismus. Und - hat hier denn kein Verlagslektor aufgepasst? - warum unterschlägt die Bio des Autors auf S. 344 ausgerechnet dessen Jahrgang? 

fricke zu merkel wirtschaftsregierung EU



 
Thomas Frickes Tagebuch aus der Welt der Wirtschaftswunder - über wunderbare Wachstumstrends, wundersame ökonomische Klischees und wundervolle wie verwunderliche Theorien
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Thomas Fricke
Was unsere Bundeskanzlerin vergangene Woche als europäische Wirtschaftsregierung verkaufen wollte, hat schon etwas Freches: die Kriterien, die in der Euro-Zone zur angeblichen Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit erfüllt sein sollen, sind fast ausnahmslos solche, die - was ein Zufall - Deutschland schon erfüllt: vom erhöhten Rentenalter bis hin zur Schuldenbremse. Da dürfte sich mancher unter Koordinierung anderes vorgestellt haben, als deutsche Knebelvorgaben zu erfüllen. Eins allerdings wirkt diesbezüglich überraschend.
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Zu den Forderungen des avisierten Pakts für Wettbewerbsfähigkeit, den Merkel mit Nicholas Sarkozy entworfen hat, gehört auch die "preisliche Wettbewerbsfähigkeit", wie sie an Arbeitskosten zu messen sei. Klingt erstmal ebenfalls nach deutscher Selbstlobempfehlung. Allerdings hat irgendwer dahinter geschrieben, dass es da "z.B." um die "Stabilität der realen Lohnstückkosten" und die "Orientierung der Arbeitskosten an der Produktivität" gehen könne.
Die Formulierung hat bei näherer Betrachtung etwas Revolutionäres, zumindest gemessen an der üblichen deutschen Orthodoxie. Nach entsprechend neoklassischer Lehre müssen die Lohnkosten ja eigentlich so lang hinter der Produktivität zurück bleiben, wie es noch Arbeitslosigkeit im Land gibt - weil es angeblich keinen anderen Weg gibt, Arbeitslosigkeit abzubauen, als Arbeit billiger zu machen (von Konjunktur haben Neoklassiker nie was gehört). Wenn das stimmt, müssten die Lohnstückkosten sinken, und zwar nominal.
Kurios: Nach Sarkozy-Merkel-Formel dürfen sie dagegen sogar so stark steigen wie die Inflation - nur "real" müssen sie ja "stabil" sein. Das kommt wiederum eher den Positionen gewerkschaftsnaher Ökonomen wie dem Ex-Sachverständigen Jürgen Kromphardt nahe. Alle Orthodoxen müssten Sturm laufen, allen voran der ewige Sachverständige Wolfgang Franz.
Die Formulierung passt denn auch so gar nicht ins Kapitel "Deutschland zeigt euch, wie's geht". Denn nach amtlicher Statistik sind die realen (!) deutschen Lohnstückkosten zwischen Ende 2000 und Krisenausbruch 2008 um sage und schreibe 10 Prozent gesunken, Ende 2010 lagen sie immer noch real 6,3 Prozent niedriger als vor zehn Jahren (bei einer Arbeitslosenquote, die damals übrigens kaum höher lag als heute). Stabil ist das nicht.
Frau Merkel wird doch nicht wollen, dass sich Deutschland am Ende doch nochmal rechtfertigen muss, weil die Löhne einfach zu stark gebremst worden sind?

Kommentare

Ermutigendes von Hans Magnus Enzensberger


 "Wer die eigenen Positionen räumt, gibt nicht nur objektiv Terrain preis, sondern auch einen Teil seiner selbst"


Hans Magnus Enzensberger in seinem Essay "Die Helden des Rückzugs"

Tschüss Gorch Fock: Nach dem Skipper - nun geht die Mannschaft von Bord

Wegen der im Raum stehenden Vorwürfe wollen offenbar
mehrere Besatzungsmitglieder des Schulschiffs „Gorch Fock“ nach ihrer Rückkehr nach Deutschland ihren Dienst an Bord quittieren. 

Dies erklärten Besatzungsmitglieder dem ARD Hörfunk im chilenischen Valparaiso (wie tagesschau.de vom 14.2.11). 

EU-Haushalt: Rückwärtsgewandt und ohne Zukunft

Es muß schon schlimm stehen um die Ausgabenstrategie der Europäischen Union, wenn sich die schwedische Ministerin für EU-Angelegenheiten mit ihrer Kritik am EU-Haushalt an die Öffentlichkeit wendet (Birgitta Ohlsson in der FTD-Ausgabe vom 10.2.11). 


Immer noch orientiert sich die EU an Haushaltsprioritäten 
von anno dazumal: Trotz massiver Schulden subventioniert die EU nach wie vor unverdrossen unrentable Bauernhöfe und sponsert z.B. Lebensmittelkonzerne, Popkonzerte und Kraftstoffe für Fischereifahrzeuge. Und dies alles an den Marktmechanismen vorbei. Kein Wunder, dass ein von der EU-Kommission in Auftrag gegebene Untersuchung den  Haushalt der EU „ein historisches Relikt“ nennt. Ohlsson: Ein großer Teil des EU-Haushaltes besteht aus Posten, die keinen wirklichen Mehrwert für Europa aufweisen. Stattdessen müsste die EU ihre Ausgaben auf Bereiche wie Forschung und Entwicklung, grenzüberschreitende Infrastruktur und Umwelt umlenken. "Die Reduzierung und Modernisierung des EU-Haushalts sollte durch gesenkte Ausgaben für die gemeinsame Landwirtschaftspolitik geschaffen werden, die wiederum größeres Gewicht auf Umwelt und anderen kollektiven europäischen Nutzen legen sollte".

Öffentliches Beschaffungswesen: Antiquiert, verschwenderisch, ineffizient

Gerade mal läppische 15 Prozent der deutschen Verwaltungen erfassen ihre Einkaufsdaten nach Kosten und Mengen. Und mit den klammen Kassen der Kommunen kann es offenbar auch nicht weit her sein, leistet sich doch die öffentliche Hand, für die gleichen Dienste bis zu 15 Prozent mehr als die Privatwirtschaft zu zahlen. 



Grundlage dieser haaresträubenden Ergebnisse ist eine Untersuchung des  Beratungsunternehmen Booz & Company. 


Würden Kommunen und öffentliche Betriebe kostenanalytische Methoden einsetzen, wie sie bei Privat-Unternehmen gang und gebe sind, könnten sie ihre Beschaffungskosten deutlich senken, nämlich um bis zu 20 Milliarden Euro pro Jahr. 


„Die Verwaltungen wissen häufig nicht, wie effizient sie einkaufen – geschweige denn, wie grün oder ethisch" prangert Ulrich Bergmoser, Geschäftsleitungsmitglied bei Booz die vorsintflutlichen Verhältnisse an. Vielen Behörden sind ihre Defizite noch nicht mal bewußt, weil  sie ihr Beschaffungswesen erst gar nicht stringent analysieren, so dass nur wenig interner Reformdruck entsteht. Zum Beispiel fehlen fast überall Marktvergleiche bei Entscheidungen über Angebote, weil in den Richtlinien der Bürokratie halt nicht vorgesehen.


(Referenz: Artikel von Friedericke von Tiesenhausen in der FTD vom 10.2.11)

Einmal (Patt) geht immer noch

Der Unbequeme Blogger kommt sich schon richtig komisch vor. Bin ich auf Patts abonniert? Was ist los? Aber wenn meine überlegenen Gegner, siegessicher auf der Gewinnerstrasse einherschreitend regelmässig aus einer Vielzahl von möglichen Zügen, darunter viele gute, ausgerechnet immer dann den einzigen schlechten Zug wählen, der zum Remis führt - da muss ich doch zupacken. So auch hier unten. Gerade hatte ich (Schwarz) im Zug vorher meinen Läufer auf c5 gesetzt und dachte innerlich: Na ja, er (Weiss) wird doch nicht mit seinem Läufer auf c5 schlagen - Zeit zum Überlegen hatte er massenhaft. Aber doch - prompt schlug er auf c5. Und dass so nahe vor dem sicheren Gewinn. Caissa lächelt amüsiert aus dem Schachhimmel.

Scheitert neuer EU-Rettungsplan am Bundestag?

Merkel braucht für ihren Plan eines European Stability Mechanism eine Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag. Also wird das nur mit Stimmen der SPD oder der Grünen möglich sein, was Merkels Bewegungsspielraum für ihre Verhandlungen für den EU-Wettbewerbspakt nochmal einengt. 

Die FAZ, für die Weber lange Zeit das Hätschelkind war, ist sauer, nachdem der Bundesbank-Präsident nun die Klamotten hingeschmissen hat: verantwortungslos, Merkel-beschädigend und nur nach einen top-bezahlten job in Privatwirtschaft gierend - mit diesen Noten demontiert und begräbt nun die Zeitung, wo immer ein kluger Kopf dahintersitzt, ihren vormals Lieblingsbanker.

Und in Griechenland wird der Ton rauer, nachdem eine EU/IMF-Delegation mehr Reformen Griechenland gefordert hat. Wieder mal pochen die griechischen Zeitungen auf die griechische Souveränität, dabei verkennend wie tief die Karre dort schon im Dreck steht.  

Die Rolling Stones ausser Rand und Band: Wieder ein deutsche EZB Kandidat verschlissen

Auf so viel Taktiererei wie Politiker kommen Normalsterbliche überhaupt nicht: Kaum tritt Weber als beleidigte Leberwurst von der Berline Bühne ab und Angela steht ohne einen Kandidaten dar, da schnürt der SPD-Oberlehrer schnell einen Überraschungscoup: 

Steinbrück soll es in Bruxelles für Deutschland richten. Richtig, der "Die Sparbücher in Deutschland sind immer sicher"-Finanzminister. Pech aber auch für den einen Stein, dass der andere Stein gar nicht wie ein Stein auf dem Berliner Schachbrett verschoben werden möchte. War da einer zu schnell in seinen taktischen Finessen? Gerade mal 24 Stunden war die Steinmeier-Schote aufgelegt, da platzte sie. Steinbrück: "EZB, nein danke". Die Italiener und Franzosen lachen sich nun die Hälse schief: Innert paar Tagen verschleisst Deutschland zwei EZB-Kandidaten. Das nennt man solide schwarz-rote Personalpolitik. Der Unbequeme Blogger fühlt sich an die große Koalition erinnert.