Mittwoch

Die internationale Finanzkrise verstehen und handeln

Rezension von: 

Wolfgang Münchau "Makro-Strategien"





Der Untertitel des Buches zeigt, dass man dieses Buch unter zwei Blickwinkeln lesen kann. Man kann sich sachkundig machen, wie und warum Staaten pleitegehen, und man kann sich informieren, was man als Anleger beachten sollte, wenn man sicher investieren will. Keine schlechte "Lesebrille" sozusagen, wo man mehr oder weniger gleichzeitig mit verschiedenen Gläsern lesen kann. 





Münchaus Hauptargument ist (der Titel: nomen est omen): Die globale Schuldenkrise hat sich dermaßen ausgeweitet hat, dass die volkswirtschaftlichen Faktoren alle Geschehnisse im Wirtschafts- und Finanzsektor überschatten. 

Wer dies beachtet wird sich weniger um konjunkturelle ad hoc Veränderungen kümmern, sondern auf die strukturellen Aspekte des internationalen Wirtschaftssystem achten. Und dort ist der alles überragende Aspekt die strukturelle Systemschwäche die Instabilität der Finanzmärkte. 





Im ersten Teil erklärt Münchau die Gründe dieser Instabilität, und warum sie von Dauer sein wird. Der zweite und dritte Teil ist dann der Frage nach individuellen Anlagestrategien gewidmet; da zieht Münchau konkrete Konsequenzen aus Teil Eins. Beides verknüpft Münchau mit dem tiefsinnigen Bonmot von Keynes: Die Märkte können länger irrational sein als dass man selber liquide ist...





Das Buch ist ausgesprochen lesefreundlich und gibt auch während der inhaltlichen Entfaltung des Themas fortlaufend Tips, wie mit der Publikation verfahren kann. So kann man z.B. problemlos nur Teil I lesen, wenn man sich nur für das Problem der Finanzinstabilität und ihre volkswirtschaftlichen Konsequenzen interessiert (und keine Anlagentips benötigt - z.B. weil man nicht über das notwendige Kapital verfügt). Ausserdem präsentiert Münchau einen Zwei-Prioritäten Lektürevorschlag: Es gibt Buchteile, die man lesen "muss" und andere die man auch problemlos überspringen kann.





Warum waren die 50er und 60er Jahre so stabil? Damals gab es feste Wechselkurse, die Finanzregulierung war restriktiv und die 

EDV hatte noch keinen Einzug in die internationale Finanzwelt gefunden. Diese Schönwetterperiode endete in den 70er Jahren: die festen Wechselkurse wurden durchs free floating ersetzt und die Goldbindung aufgehoben. 





Die Ursache für die jüngste Krise 2007 bis 2009 sieht Münchau in einer Problemkombination von massiv grösser gewordenen globalen Finanzströme und der Deregulierung der Finanzmärkte. Dass der Umfang der Finanzströme dermaßen zugenommen hat, liegt an den erheblichen 

Leistungsbilanzdefiziten (USA) und -überschüssen (China, Deutschland). Mit diesen Defiziten und Überschüssen flossen massive Geldströme in die internationalen Finanzmärkte, die nach einigen Transformationen schließlich schwerpunktmässig zur Finanzierung amerikanischer Hypotheken und Konsumausgaben benutzt wurden. 





Die explodierenden Kapitalströme waren aber nur ein Auslöser für die Krise. Hinzu kamen einschneidende "Innovationen" im Bankengeschäft: Die Banken konnten erstmals ihre drei klassischen Risiken (Kredit-, Zins- und Liquiditätsrisiko) durch das neue Finanzinstrument der sog. "Verbriefung" abwälzen, d.h. eine Bank konnte z.B. ihre Kredite auslagern. 





Fatal war dabei, dass die Banken infolge der fehlenden Transparenz des Finanzsystems die Gefahr ihrer Verbriefungsaktionen total unterschätzt hatten. Denn die klassischen Bankrisiken kann man zwar auslagern aber nicht einfach auflösen. Statt wie früher bei den Banken zu bleiben, verlagerten sich die Bankrisiken nun auf Institutionen wie Lehman Brothers u.a., die die Risiken nicht tragen konnten sondern darüber kollabierten. 





Das erklärt nun zwar die jüngsten internationalen Finanzkrisen, aber nicht die Krisen der 70er Jahre. Dafür muss man zu einer umfassenderen Theorie der wirtschaftlichen Instabilität greifen, für die Münchau Hyman Minsky präsentiert. 




Hyman Minsky




Minskys Theorie steht im Gegensatz klassischer wirtschaftstheoretischer Erklärungsmuster, die Krisen aus externen Faktoren heraus erklären. Für Minsky ist wirtschaftliches Gleichgewicht nicht der Normal- sondern der Ausnahmezustand. Der Kapitalismus hat die natürliche Tendenz, sich immer wieder von der Stabilität wegzubewegen. Denn Stabilität ist die Motivation für die spekulativen Finanzmärkte, immer risikoreichere Investionen zu tätigen, so dass der Stabilzustand fortlaufend latent unterminiert wird. 





Ohne die amerikanische Subprime-Krise zu kennen, (Minsky verstarb 1996) entwickelte sich diese Krise exakt entsprechend der Krisen-Entwicklungsstruktur, wie Minsky sie für Kreditspekulationen entwickelt hat:





Stufe I = Konservative Strategie (die Investoren sind in der Lage, sowohl Zinsen für ihre Kredite zu bezahlen als auch ihre Kredite zu tilgen)





Stufe II = Gefahrenstufe (die Investoren können zwar noch die Zinsen bezahlen, aber nicht mehr ihre Schulden tilgen)





Stufe III: Die Blase platzt (die Investoren können jetzt sogar nicht mehr aus eigener Kraft die Zinsen bezahlen, sondern können nur noch auf die Erhöhung ihrer Anlagewerte wetten). 





Minsky hat aber nicht nur eine schlüssige Theorie der Finanzinstabilität entworfen, sondern auch auf die großen Risiken des neuen Finanzinstruments "Verbriefung" hingewiesen, mit der die Banken ihre drei klassischen o.a. Risiken durch Erzeugung von Wertpapieren auslagern. Da Verbriefungen so attraktiv für die Banken sind, gab es im Laufe der aktuellen Finanzkrise geradezu ein Run auf dieses Instrument. 





Das Fatale daran war, dass sich damit die Rolle der Banken massiv änderte. Waren 





Banken in früheren Zeiten in erster Linie für Kredite zuständig, übernahmen sie jetzt die Rolle von Verkäufern und Händlern. Sie geben zwar auch weiterhin Kredite aus, verkaufen sie aber sofort wieder. Der Markt, auf dem die Banken diese neuen Rollen, speziell ihre Kreditverkäufe, ausüben, ist aber nicht mehr das lokale Bankumfeld, sondern der internationale globale Finanzmarkt mit all seinen Instabilitätsrisiken, weil dieser nicht durch die klassischen Bank-Auflagen für Mindestreserve und Eigenkapitalvorschriften reguliert wird.





Warum hat das ökonomische Establishment (Stichwort: Harvard, MIT, Princeton) dieses Problem nicht erkannt? Erstens kommen in ihren Modellen - allen voran 

Keynes - Finanzmärkte einfach nicht vor. Zweitens verengen ihre Modelle die Suche nach den Krisen-Gründen nur auf externe Faktoren, ohne wahrzunehmen, dass die aktuelle Finanz-Krise vor allem auf interne Gründe zurückzuführen ist. 





Entsprechend greifen auch alle Empfehlungen des wirtschaftswissenschaftlichen Establishment (personifiziert u.a. in Bernake, Summers, Blanchard) 

daneben, die sich nur auf Korrekturen externer Krisenfaktoren konzentrieren, also vornehmlich neue Regulierungsideen entwickeln. Dabei übersehen sie, dass Finanzmärkte immer Wege finden (werden), Regulierungen auszutricksen. Somit wird die Instabilität der Finanzmärkte in Zukunft eher noch zunehmen. 





Im weiteren Verlauf entwickelt Münchau sieben Szenarien, wie sich die gegenwärtige Krise bis 2020 weiter entwickeln könnte, darunter eines mit dem Titel "Stress im Eurogebiet". Münchau glaubt nicht, dass der Euroraum zusammenbrechen wird, denn selbst bei evt. tatsächlich eintretenden Bankrotts von 





PIGS-Staaten, wird es für diese allemal attraktiver sein, ihre Insolvenz innerhalb des Euroraums abzuwickeln statt ausserhalb, wo diesen Ländern neben der Zahlungsunfähigkeit auch noch eine Währungs- und Banken-Krise drohen würde. 





Aber da die PIGS aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Euroraum ihre Wirtschaft nicht mehr über Wechselkursanpassungen sanieren können, müssen sie es durch massive Transformationen auf dem Arbeitsmarkt tun, Veränderungen auf die diese Gesellschaften in keinster Weise vorbereitet sind. 





Münchau schliesst aus der Präsentation seiner Szenarien: Die internationale Finanzinstabilität wird sich weiter verschärfen. Ein Instabilitätsfaktor ist China, wo die 

Immobilienpreise z.Zt. noch stärker ansteigen als damals im Immobilienboom der USA (wie der amerikanische Häuserboom endete, wissen wir nur zu gut...). Ein anderer ist der Euroraum, wo die notwendigen Adaptionsprozesse der PIGS erhebliche Krisen generieren werden.





Im zweiten Teil seines Buches beschäftigt sich Münchau mit den diversen Märkten in den Zeiten der ggw. Instabilität, die für Investoren relevant sind: Aktien, Bonds, Immobilien, Rohstoffe, Devisen - alles zunächst in allgemeiner analytischer Weise, noch ohne konkrete Anlagestrategien zu erörtern. 





Dies erfolgt im dritten Teil des Buches und steht unter der Maxime: Mikrostrategien sind out, Makrostrategien sind das Gebot der Stunde. Das klassische 





"Aktien kaufen, in den Safe und erst in dreissig Jahren wieder verkaufen" war für internationale wirtschaftliche Schönwetterlagen geeignet, in Zeiten wie der ggw. Krise funktioniert es nicht. 





Münchaus Überlegungen in diesem 3. Teil sind von einem Pragmatismus geprägt, der in erfrischender Weise noch über die Skepsis hinausgeht, die man als Geldanleger immer an den Tag legen sollte. Besonders wohltuend sein Hinweis, dass man sich nicht ärgern sollte, auch mal in der Beurteilung falsch zu liegen 

(Münchau bezieht sich humorvoll dabei selbst mit ein). Oder auch, dass man nicht zuviel Präzision beim Erstellen eines persönlichen Risikoprofils aufwenden soll. Auch seine Warnung vor den großtönenden Besserwisser in der Anlageberatung ist bemerkenswert. Münchau plädiert - wie sollte es beim Buchtitel auch anders sein - für eine gesunde Makrostrategie, personifiziert in Makroinvestoren, die nicht mit "Geheimtips" um sich werfen, sondern eher selbstkritische, fehlersensible Intellektuelle sind und sich auch nicht scheuen, ihre Meinung zu ändern.





Besonders spannend wird Münchaus Buch in seinem dritten Teil, wenn er auf den europäischen Währungsraum zu sprechen kommt. Zwar beteuern die PolitikerInnen immer wieder, dass der Euro auf ewig eingeführt worden sei, aber die Finanzmärkte sind weiterhin skeptisch. Und da sowohl die Arbeitsmärkte in den PIGS nicht weiter nach unten reguliert werden können als auch effektive Krisenbewältigungsmechanismen für den Euroraum fehlen, kann es doch mal zum Knall kommen. Das wäre nicht gleich das Ende des Euro aber das Ende eines gemeinsamen Euroraums. 





Insbesondere der horrende Schuldenstand 

Griechenlands macht Münchau Sorge. Um diese Schuldenexplosion zu vermeiden, müsste Griechenland noch erheblich unter der von Bruxelles vorgeschriebenen 3%-Defizitmarge bleiben aber gleichzeitig dennoch ein Wirtschaftswachstum erzielen. Zu einer solchen brutalen Wirtschaftstransformation wird Griechenland nicht fähig sein, also langfristig trotz aller Notkredite dennoch facto insolvent bleiben. 





Die verschiedenen für eine Makrostrategie maßgebenden Faktoren der Instabilität analysiert habend, endet das Buchkapitel, das sich der globalen Schuldenkrise gewidmet hat, mit dem lapidaren Satz: "Dann ist man am besten liquid und short".





Im "Epilog" vermutet Münchau, dass die Kredit- und Bankenkrise in eine Staatenkrise übergehen wird. Die wird noch lange dauern, und Münchau hat keine Hoffnung, dass die Politik irgendetwas zur Lösung beitragen kann (Niklas Luhmann würde sich über dieses statement freuen...). Am Ende, fürchtet Münchau, kann das zu einer Großenteignung der 

Sparer und dementsprechend zu politischen Verwerfungen führen: "Wenn Sparer in eine offene Klinge rennen, die durch die heutige Wirtschaftspolitik erzeugt wird, droht nicht nur Verarmung, sondern politische Instabilität, Unruhen und langfristig auch eine Bedrohung der Demokratie" (S. 292). Es ist das Verdienst von Münchau, vor diesen Gefahren eindringlich zu warnen, so dass "Makrostrategien" auch ein politisches Buch ist. 





Dankenswerterweise gibt Münchau im Anhang über ein gutes Glossar- und Literaturverzeichnis hinaus auch noch eine instruktive Übersicht, wie man sich im Internet über das Thema seines Buches fortlaufend weiter informieren kann. 





Wolfgang Münchau: Makrostrategien. Sicher investieren, wenn Staaten pleite gehen. 323 Seiten. 21,90 Euro. Carl Hanser Verlag München, 2010.