Freitag

Nie wieder Krieg - nicht in Afghanistan und auch nicht anderswo



Deutlicher kann das Urteil über den sinnlosen Krieg in Afghanistan nicht mehr ausfallen, seitdem wikileaks uns die Augen über die Brutalität und den Schmutz dieses Krieges geöffnet. 





Herr Minister: warum warten sie immer noch bis die Amerikaner dieses verfehlte Abenteuer endlich beenden und abziehen? Geben Sie sich einen Ruck und holen Sie die deutschen Soldaten JETZT nach Hause, ehe es für viele zu spät ist. In Ihrem Abrüstungskurs gegen die Ambitionen der Generäle haben Sie schon viel Courage bewiesen und in Ihrer Demaskierung der Wehrpflicht-Ideologie sich sogar mit der Kanzlerin angelegt. Hut ab! Mit einem raschen Abzug Deutschlands aus dem korrupten Drogenland am Hindukusch können Sie nur gewinnen!



Solange diese Forderung nicht erfüllt ist, ist es gut, sich immer mal wieder das simple Ein mal Eins von Friedenspolitik vor Augen zu führen. Dazu hier eine Rede, die ich zum 60. Jahrestag der Beendigung des 2. Weltkrieges im Nienburger Rathaus gehalten habe:







„Nie wieder Krieg!“  

(Rede am 8. Mai 2005 im Rathaus Nienburg/Weser)



 


Liebe Nienburger Bürgerinnen und Bürger!  

Wie oft sind diese drei einfachen Worte wohl heute vor sechzig Jahren in unserer Stadt gesagt worden - in Deutschland – in Europa? Wie oft sind sie von unseren Eltern und Großeltern geseufzt worden, geschrieen, gebetet, geweint, gestöhnt? Diese drei klaren Worte: Nie wieder Krieg! 





Heute, zum Gedenken an das Ende des 2. Weltkrieges haben wir uns hier versammelt und müssen Antwort auf zwei Fragen geben:  





Erstens:

Was haben wir aus diesen drei Worten gemacht in den vergangenen 60 Jahren?  





Und zweitens:

Welche Lehren ziehen wir aus diesen drei Worten für die Zukunft?



 


Erstens:

Was haben wir aus diesen drei Worten gemacht seit 1945? 

 


Wir haben in entscheidenden Bereichen ernst gemacht mit diesem Satz. Dazu drei Beispiele:  

  1. Wir haben uns ausgesöhnt mit denen, die von unserem Volk generationenlang als „Erbfeinde“ verteufelt worden sind, insbesondere mit Franzosen und Polen. 

  1. Wir haben verlässliche friedliche Grenzen mit den Ländern, die unser Volk vor mehr als sechzig Jahren überfallen hat: mit Tschechien, Dänemark, den Niederlanden und anderen Ländern. 

  2. Wir geben so viel Geld für die Ausbildung in nicht-militärischer Konfliktbearbeitung aus wie nie jemals zuvor in der deutschen Geschichte.

Aber wir sind diesem Satz auch untreu geworden:

  1. 60 Jahre nach dem 2. Weltkrieg sind fast 25.000 deutsche Soldaten ausserhalb Deutschlands stationiert. Ein Drittel der gesamten Bundeswehr (inklusive Ausbildung und Logistik) ist an deutschen Auslandseinsätzen beteiligt. Ja, wir haben sogar junge deutsche Frauen und Männer wieder in Kriege geschickt. Eine Politik, die im Jahr 1945 für unser Land undenkbar gewesen war. 

  1. Zweitens: Jahr für Jahr liefert Deutschland immer mehr Waffen in alle Welt. Die sicherlich nicht einseitig urteilende „Süddeutsche Zeitung“ formulierte es kürzlich sogar so,daß (Zitat) die „deutschen Rüstungsgeschäfte explodieren“! Von deutschen Firmen produziert und von deutschen Regierungen genehmigt, tragen also deutsche Waffen international dazu bei, daß Kriege geführt und Menschen blutig unterdrückt werden.

  1. Drittens: Wir haben inzwischen ein vor dreißig, vierzig Jahren noch unvorstellbares Ausmaß an Gewaltdarstellung, ja sogar Gewaltverherrlichung in allen Fernsehkanälen, auf den Computerbildschirmen und in den Spielzeugläden.

 Die Antwort auf unsere Frage „Was haben wir aus diesen drei Worten des 8. Mai 1945 gemacht“?, fällt also ambivalent aus. Und weil das so ist, weil diese sechzig Jahre seit Kriegsende keine glatte positive Bilanz ergeben, bekommt meine zweite Eingangs-Frage umso mehr Gewicht:  

Welche Lehren ziehen wir aus diesen drei Worten für die Zukunft? Wie können wir die Friedens-Bilanz unseres Landes in der Zukunft verbessern? 





Als Perspektive für die Antwort auf diese zweite Frage zitiere ich einen Satz aus der Präambel der UNESCO, wo es heisst: (Zitat)  





Da Kriege im Geist der Menschen entstehen, muss auch der Frieden im Geist der Menschen verankert werden"



Mein Beruf führt mich seit vielen Jahren immer wieder zu den aktuellen Konfliktbrennpunkte dieser Welt, in den Kosovo, nach Südafrika, in die Ukraine, nach Bosnien. Und ich kann Ihnen bestätigen: Die UNESCO hat recht! Kriege entstehen nicht durch Waffen. Kriege werden von Menschen gemacht, durch unser Denken, unsere Planungen, unsereEntscheidungen.  

Wer ernst machen will, „Den Frieden im Geist der Menschen zu verankern“ – muß deshalb dreierlei tun:

 


Erstens: Aggressionen überwinden 

Zweitens: Den Frieden vorbereiten 

Drittens: Der Gewalt widerstehen 





Erstens:

Frieden bedeutet: Aggressionen überwinden

 


Kriege sind kollektive Aggressionen. Kriege werden geführt,

  • weil Menschen andere Menschen nicht tolerieren wollen,

  • weil Menschen andere Menschen beherrschen wollen,

  • weil Menschen mehr Reichtum haben wollen als andere Menschen.

 Toleranz ist also eine der Grundbedingungen, damit es nicht zur kollektiven Aggression im Krieg kommt.  





Das gilt besonders für die Gebiete Europas, in denen kein Volk für sich alleine in einem Staatsterritorium wohnt. Wir denken dabei zunächst vor allem an Südosteuropa, wo überall verschiedene Völker in einer Staatsgrenze zusammengefasst leben müssen.  

Aber auch andere Staaten Europas nähern sich dieser Situation in Südosteuropa immer mehr an. Auch in England, Frankreich und Deutschland ist die multikulturelle Gesellschaft schon längst Wirklichkeit geworden. Ähnlich im Baltikum: Jeder Dritte der in Estland und Lettland lebenden Bevölkerung ist Russe!  





Nun hat man immer wieder versucht, das Dilemma der mangelnden Übereinstimmung von Staatsvolk und Staatsterritorium angeblich so „lösen“ zu wollen, dass man für eine möglichst weitgehende „Reinheit“ im Staatsvolk plädiert hat. Aber all diese Träume von Groß-Serbien, Groß-Albanien, Groß-Sonstwie sind gescheitert oder sie werden scheitern. Die Absicht, ethnisch reine Staaten zu schaffen ist eine Fiktion, und wer einer Fiktion nachjagt, wird enttäuscht werden, im schlimmsten Fall wird er intolerant und fanatisch.  





Statt in gefährlicher Weise auf neue Grenzziehungen zugunsten ethnisch reiner Staaten zu spekulieren, ist es viel wichtiger, die gesellschaftlichen und politischen Realitäten multi-ethnischer Staaten anzuerkennen und Bedingungen zu schaffen, damit ethnische Minderheiten in einem Staatsgebiet angemessen toleriert werden. Das heißt, dass ihnen die Freiheiten garantiert werden, die sie für ihre kulturelle, sprachliche, erzieherische und religiöse Identität benötigen und dass ihnen eine angemessene Beteiligung an der politischen Willensbildung eingeräumt wird.  





In den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts feierte man in Mitteleuropa die historische Errungenschaft stabiler Grenzen als einen besonderen Beitrag zum Frieden. Die Herausforderung für die Staaten und Gesellschaften im Europa des 21. Jahrhunderts wird es sein, diese äußeren Grenzziehungen auch weiterhin stabil zu halten, aber auch die Gesellschaften und Politik in diesen Grenzen offen, tolerant und mit Respekt vor Minderheiten zu gestalten.  









Frieden bedeutet: Den Frieden vorbereiten 





Angesicht der vielen Kriege in der Vergangenheit und Gegenwart, fragt man sich: Warum? Warum verrennen sich die Politiker und Politikerinnen immer wieder in die Sackgassen der Gewalt? 

Unter den vielen Gründen für die Eskalation zum Krieg gibt es zwei besonders fatale:  





Der erste Grund = Naivität:

Oft rechnen weder die Politiker noch die Bevölkerung in der Zeit der Konflikt-Eskalation mit dem Schlimmsten, mit dem Krieg; sie erkennen nicht die Gefährlichkeit der Situation.  





Der zweite Grund = Verblendung:

Wenn ein Konflikt eskaliert, gibt es den gefährlichen Punkt, ab dem keiner der Gegner ernsthaft mehr bereit ist, der sich anbahnenden Katastrophe in den Arm zu fallen. Alternativen zum Verhängnis des Krieges werden als unrealistisch abgetan, ohne sich die Mühe zu machen, ihnen eine Chance zu geben. Zug um Zug erhöhen die Gegner ihre Forderungen, bis schließlich nur noch der Zwang von "Ultimaten" den Weg ins Unheil diktiert. Gelähmt, ohnmächtig blickt man auf jede neue Runde der Droh-Eskalation, unfähig wirkliche Alternativenzu entwickeln.  

Alle Untersuchungen über Konflikte weisen aber darauf hin, wie wichtig es ist, sich niemals den Blick für Alternativen zum Krieg zu verstellen. Sich energisch zu wehren:

  • gegen die übliche Drohrhetorik,

  • gegen den immer wieder beschworenen angeblichen „Zeitdruck“ und

  • gegen die sogenannten "Sachzwänge".

 Wir dürfen niemals dem Irrglauben verfallen, dass es in Konflikten keinen Ausweg mehr gäbe.  

In Konflikten kommt es nicht darauf an, möglichst schnell Entscheidungen zu treffen (die sich dann später meist doch als verhängnisvoll erweisen). Damit verengt man leichtfertig die Bandbreite der Handlungsmöglichkeiten.

 


Nötig ist stattdessen:  

  • Immer wieder innezuhalten

  • Bereit sein, Pläne wieder zu revidieren

  • Sich nicht dem sogenannten "Druck der Verhältnisse" zu beugen



 
Ein echtes Bemühen um den Frieden ist jederzeit offen für neue Lösungsideen und für Konflikt-Entspannung.  





Aus der Friedensforschung kennen wir: 

  • die Gefahren der Eskalation,

  • die Illusionen von Drohpolitik und

  • die schlimme Saat der Gewaltverherrlichung in den Medien.

 Die Bürgerinnen und Bürger sollen sich also keine Ausreden von ihren Politikern und Politikerinnen mehr gelten lassen wie:  





"Das haben wir nicht gewusst",

„Es gibt keine Alternativen zum Krieg"

„Für Verhandlungen ist keine Zeit mehr“;

„In Konflikten hilft nur Gewalt“.  









Glauben Sie diesen gefährlichen Vereinfachern nicht!



Bemühen wir uns stattdessen mit Geduld, Fantasie und Zähigkeit, herauszufinden, wo - trotz der Gegensätze - dennoch gemeinsame Interesse vorhanden sind. Solche gemeinsame Interessen können als vertrauensbildende Elemente dienen und später in eine stabile Konfliktlösung überführt werden. Das Ziel jeder Konfliktregelung ist es, aus der Krise in eine Situation hinein zu steuern, bei der es keine einseitigen Gewinner und Verlierer gibt und kein Gesichtsverlust für die Beteiligten.  









Drittens:

Frieden bedeutet: Der Gewalt widerstehen.  





In der Geschichte der Menschheit hat es immer wieder Personen gegeben, die der Versuchung der Gewalt widerstanden haben. Wir denken an Gandhi und M.L. King, an die Leipziger Montagsdemonstrationen 1989 und an die friedlichen Revolutionen kürzlich in Georgien und in der Ukraine. Aber es gibt auch viele namenlose Friedenarbeiterinnen und Friedenarbeiter, die mit bemerkenswertem Mut und Zähigkeit immer wieder Zeichen zur Gewaltüberwindung setzen.  

Es sind Menschen, die klare deutliche Zeichen gegen die Anwendung von Gewalt setzen und die von der Vision einer friedlicheren Welt überzeugt sind. Keine Schwärmer oder irreale Idealisten, sondern sehr konkret denkende und praktisch handelnde Menschen, die der Gewalt widerstehen, meist gegen die herrschende Meinung und gegen die Machthaber - ohne Rücksicht darauf, ob dieses Engagement sie in persönliche Gefahr bringt. 





Ein solches Nein zur Gewalt ist aber keine Selbstverständlichkeit. Das zeigen die Jahre 1933 bis 1945 in der deutschen Geschichte, wo eigentlich Widerstand notwendig gewesen wäre, in denen Deutschland aber versagt hat.  





Wenn wir uns heute mit Menschen unterhalten, die sich noch bewusst an die 30er Jahre in Deutschland erinnern können, ist das Beeindruckende, dass es neben den aktiven Nationalsozialisten leider auch viele, viele Menschen in dieser Zeit gab, die gar nicht aktiv waren, sondern anpasserisch, die weggeschaut und keine Fantasie entwickelt haben, was man gegen das Unheil machen könne. Viele haben einfach nicht wahrhaben wollen, dass die Zustände in Deutschland so schlimm werden würden, wie sie es dann Jahr um Jahr wurden.  





Daraus sollen wir lernen, dass Wachsamkeit und - falls nötig - auch aktiver Widerstand nicht von selber kommt, sondern eingeübt und trainiert werden muß. Das gilt nicht nur für den Widerstand gegen einen illegalen Staatstreich. Widerstand ist auch notwendig gegen Gewalt in der Straßenbahn, gegen Angriffe auf Ausländer, gegen intolerante Berichterstattung in den Medien, gegen heimliche Umweltzerstörungen.



Es gibt viele Situationen, wo der Mut zum Nein gefordert ist. Ein solcher Widerstand stellt sich aber nicht automatisch ein, er muß schon frühzeitig vorbereitet werden. Deshalb ist es hoffnungsvoll, dass es inzwischen richtige Kurse gibt, in denen solches Widerstehen gegen die Gewalt trainiert wird, wo man sich z.B. durch Rollenspiele auf verschiedene Situationen des gewaltfreien Widerstands vorbereiten kann.  





Solcher Widerstand braucht keine grosse einzelne Helden, sondern Menschen mit Zivilcourage. Er braucht 

  • Lehrerinnen und Lehrer, die ihre Schülerinnen und Schüler über Kriegsursachen und Kriegsfolgen realistisch aufklären 

  • Er braucht Journalistinnen und Journalisten, die Kriege auch „Kriege“ nennen und nicht „militärische Operationen“ und die Kriegstote nicht als „Kollateralschaden“ abqualifzieren und er braucht

  • Bürger und Bürgerinnen, die bei Überfällen gegen alte Leute oder Ausländer nicht wegschauen, sondern hinsehen und sich einmischen.



 
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer: Sich für den Frieden zu engagieren, ist eine höchst praktische Sache, und deshalb lade ich Sie zum Abschluß meiner Ausführungen zu folgendem praktischen Schritt ein:  





Wenn Sie heute Nachmittag wieder zu Hause sind, dann können Sie einmal darüber nachdenken, ob Sie nicht vielleicht eine Stunde in der Woche etwas praktisch für den Frieden in unserer Stadt  tun können. Eine Stunde, das ist weniger als ein Prozent einer Kalenderwoche. Es gibt gute Gelegenheiten dafür: amnesty international, die Nienburger Tafel, der Eine Welt Laden. 





Aber auch neue Ideen sind denkbar: Ich wünsche mir z.B. die Gründung einer neuen „Lokalen  Friedensagentur“, wo Menschen unserer Stadt sich über Ausbildungen und Einsatzmöglichkeiten für Friedensarbeit, kreative Konfliktlösungen und Gewaltüberwindung informieren können, wo sie von Fachleuten beraten werden wie ein solcher Einsatz erfolgen kann und später von Nienburger Bürgerinnen und Bürger bei ihrem Engagement unterstützt werden.  





Ich lade Sie also ein zu diesem kleinen Projekt „Eine Stunde pro Woche etwas für den Frieden in Nienburg tun“. Sie müssen ausser den 60 Minuten nur etwas Engagement und Geduld mitbringen. Natürlich wird es auch Probleme geben, Enttäuschungen. Aber alles in allem werden Sie durch einen solchen kleinen Einsatz das schöne Erlebnis bekommen, etwas Pessimismus abbauen zu können.  





Denn Sie widerstehen damit jenem lähmenden Pessimismus, der uns immer wieder einflüstern will:  

  • Kriege hat es immer gegeben 

  • Als Einzelner kannst du ja doch nichts machen

  • In Konflikten hilft eben doch nur Gewalt



 
Wehren wir uns gegen diese negativen Einflüsterungen. Geben wir den positiven Stimmen mehr Raum, in uns selber, aber auch in der Öffentlichkeit.  





Und wenn Sie dieses kleine Experiment „Eine Stunde Friedensarbeit pro Woche in Nienburg“ eine Weile durchgehalten haben – vielleicht erzählen Sie einmal Ihrer Nachbarin / ihrem Nachbarn davon und laden sie ein, auch mitzumachen. Genau das sind die berühmten „kleinen Schritte“ der Veränderung, die so oft beschworen, aber leider oft so wenig begangen werden.   



Liebe Bürgerinnen und Bürger. Nur wenige von uns, die sich heute hier versammelt haben, werden den 8. Mai 2045 erleben, an dem Nienburg an den 100. Jahrestag des Kriegsendes denken wird. Aber wenn wir in diesen 40 Jahren beharrlich weiterhin an der Verbesserung unserer Friedensbilanz arbeiten, dann ist das Vermächtnis des 6. Mai 1945 nicht ungehört verhallt:  





Nie wieder Krieg!

Marathonlauf in Stüde - unvergessen



Vom Blogger: 

Ich danke allen LeserInnen, die mir gute Wünsche für mein Lauf Comeback gewünscht haben. Gestern war ich beim Sportarzt (Team-Arzt der Hannoveraner Scorpions!). Gute Atmossphäre dort. Fühlte mich verstanden in meinem Verletzungsfrust ("ich mach doch alles richtig im Training..."). 





Nun "dope" ich mich mit Zink, Magnesium, Eisen; hab neue Einlagen; will auch nach Doc´s Rat gewissenhafter als früher Regenerationsphasen im Training und speziell nach VL-Starts einhalten. 





Aber das Schönste war natürlich, dass ich in der Sprechstunde zum Schluß eindeutig Grünes Licht zum Weitertrainieren bekam. Bin deshalb anschliessend also gleich zu Karstadt Sport gegangen und hab mir Nike Air Pegasus (schöner Cusheon Neutralschuh) gekauft und den heute zum ersten Mal auf einer 12k Trainingsstrecke getestet. 





Also wenn der take off anhält, könnten die nächsten Meilensteine tatsächlich wie in den beiden letzten Jahren meine zwei Klassiker-Starts im Oktober sein: in Lemke über 5k und den Bonner Dreibrückenlauf über 15k. 





Grund genug um mich deshalb auch mental zu motivieren: Hab also aus meiner Text-Rumpelkammer den Bericht von meinem Stüder Marathon in 1998 wieder ausgegraben. Das war noch zur pre-digicam-Zeit. Aber damit´s nicht zu sehr Bleiwüste bleibt, hab ich den Text kurzerhand mit ein paar Fotos von meinem Bonner Dreibrückenlauf vorletztes Jahr garniert; eine Sportreportagen-Collage sozusagen. Und nun der Bericht:

Mein 1998 Marathonlauf in Stüde
Ich fahr mit Heike guten Muts nach Stüde, die Wetterprognosen sind passabel: Wärme mit – leider - nachmittäglichem Gewitter. Wir finden wirklich dieses winzige Dorf, und nur Enthusiasten können da, wo Fuchs und Hase sich gute Nacht wünschen, einen Marathon-Verein gründen und so eine Veranstaltung managen. Dadurch ist es aber auch sehr familiär und ich weiss, warum ich nie Hamburg, Berlin oder solche Marathon-Spektakel mitmachen werde.
Kurz vor dem Start entläd sich gleich zum ersten Mal die dunkelgraue Wetterwand, die vom Osten hoch hergezogen war, so dass wir uns um 14.55 Uhr erstmal einträchtig unter das Dach des unvermeidlichen Bratwurststandes gegenüber der Startlinie stellen. Ich lass mir sogar von Heike die eine Mütze reichen, weniger nasser Haare als dann der weniger beschlagenen Brille wegen. Und um 15 Uhr wollen dann die 33 am Start auch nicht länger warten, und ich drücke meine beim billigen Jacob für 19 Mark erworbene Digitaluhr.


Vom Springe –Marathon im Jahr zuvor gut gelernt habend reihe ich mich gleich ganz demütig ins letzte Viertel ein, „langsam, langsam, langsam“ mir einhämmernd. Und dennoch bekomm ich einen gehörigen Schrecken als ich für die ersten 1000 Meter 5:13 Minuten ablese. Mein taktischer Plan ist ja klar und geordnet: Ich habe mir 6 Minuten pro 1000 Meter verordnet, was mich auf insgesamt 4:12 Stunden bringen soll („und vor Kilometer 30 keine Experimente“!).


Also, stehen bleiben kann zwar nicht gut am Kilometer 1, drossele aber den Motor mit ganzem Willen, damit komm ich dann auch auf 5:30, 5:40 Minuten runter, aber noch am Kilometer 10 hab ich schon eine Minute auf meinen Marschplan gut, danach pendelt es sich dann auch bei 6 / 5:50 Minuten ein. 


Am Kilometer 7 gibts die erste Verpflegung, und – ich hab da so meine Erfahrungen – hier merkt man, dass da Profis am Werk sind. Die rufen dir schon früh genug zu: „Wasser, Elektrolyt, Banane, Cola?“ Prima organisiert. Ich wechsle zwischen Elektrolyt und Wasser ab und in der 2. Hälfte hol ich mir auch mal Bananen, was sehr gut ist (war vorher unsicher, ob ich das meinem Magen zumuten solle).



Noch vor Kilometer 10 hört auch der Regen auf, die Sonne kommt und ich kann den Lauf so richtig geniessen. Eine herrliche Strecke, voller Grün, immer Blick aufs Wasser, absolut leise, da ausser den drei bis vier Brücken nirgends Autostrassen in der Nähe sind, ab und zu winke ich mal einem Kapitän zu. Herrlich, ich denke an meine liebe Familie und Freunde und lass mir´s so richtig wohl sein. Freue mich an meinen Nike Air Max Schuhen, mit denen ich himmlisch über den Boden schwebe. Ich fühle, wieviel Kraft ich bei dem – jetzt – richtigen Tempo in mir habe und dass die vielen  Kilometer Training in den vergangenen Monaten  prima gewesen sind.




Mein „Mitläufer“, der mich im wahrsten Sinne des Wortes von Anfang an „verfolgt“, ist leider ein ungesprächiger dröger Holzklotz, der vielleicht irgendeinem stumpfsinnigen Zeitplan hinterherrennt und für die schöne Landschaft und die sonnige Stimmung offenbar kein Verständnis hat. Brummelt mich nur mundfaul an, als ich ihn bei Kilometer 10 nach seiner Stimmung frage. Na ja. Aber dass er mir immer penetrant quasi auf den Hacken rumläuft, find ich weniger schön, mal abgesehen davon, dass er ruhig auch mal Führungsarbeit übernehmen könnt, der Eumel. Wir haben nämlich etwas Gegenwind auf der ersten Hälfte. Ist halt ein humorloser Berliner. Na ja, die Strecke ist so breit, dass ich mich dann auch oft neben ihn plaziere, um nicht dauernd sein nahes Geschlurfe hinter mir hören zu müssen.




Rund um Kilometer 14 fällt mir dann auf, dass der Abstand zur nächsten Läuferin, der bislang eigentlich immer 250 Meter betragen hat, kontinuierlich kürzer geworden ist. Ihr stampfender Laufstil gefällt mir auch nicht mehr – hat sich da eine übernommen? Also das ist dann mein erster GegnerIn-Kontakt und sie ist in der Tat offensichtlich zu schnell angegangen.




Zwischen Kilometer 15 und 20 ist´s etwas langweilig, und um das zu überwinden, suche ich mir noch ein, zwei vor mir aus, an dich ich mich ranmache. Das ist  zwar abweichend gegenüber den geplanten 6:00 Minuten auf 1000 Meter, aber psychisch noch vertretbar. Als alter Analytiker hab ich mich auch mit viel Berechnungen abgelenkt à la „wenn Du jetzt 17 Kilometer in XXX gelaufen bist, kannst Du auf eine Endzeit von YYY kommen usw.“ 




Rund um Kilometer 19 höre ich dann ein Fahrradgeräusch hinter mir: Heike ist herangekommen und wir haben uns gut unterhalten.




Den Wendepunkt passiere ich in 2:04 Stunden also mit zwei Minuten Gutschrift. Dann setzt leider wieder Regen ein (Heike wartet erst mal unter einer Brücke). Das Unwetter hätte ruhig in Sachsen-Anhalt bleiben können wo es herkam – diesmal wird der Regen zum Unglück auch noch recht heftig. Mist, bald  schlackert mir mein vollgesogenes Laufshirt um den Körper. Selbst trotz meiner Stirnmütze „blicke“ ich nur noch mit Mühe durch.




Aber auch in dieser widrigen Periode geht es mir letztlich doch noch ganz gut, Bananen und Wasser helfen, und auf Regen hatte ich mir auch schon im Training mental und real gut drauf eingestellt. Hab mich auch zu einer gewissen Lauf-Euphorie wenn auch nicht gerade hinreissen lassen, aber sie dennoch bejaht, so dass ich bei Kilometer 25 schon 5 Minuten schneller als der Plan bin. Egal, denke ich; natürlich ja nicht schneller, aber jetzt künstlich langsamer ist doch auch blöd. Physisch bin ich noch blendend drauf, merkte noch keinen Muskel, der Magen ist prima und mein Kreislauf sowieso.

Auch bei 30 Kilometern „bin ich meiner Zeit immer noch fünf, sechs Minuten voraus“. Die Verpflegungsstelle bei Kilometer 31 habe ich mir innerlich als die Stelle markiert, wo ich überlegen will, ob ich ab da ernsthaft die Entscheidung suchen solle. Einmal gegen den dummen Fersentreter hinter mir, aber auch als challenge gegen den eigenen Zeitplan. 




Der Verfolger-Oldie ist inzwischen auch einem anderen auf die Nerven gefallen, dem deswegen eine Trinkflasche hinfällt und den er dann auch noch rempelt. Blöd so was. Wo denn sonst wenn nicht beim Marathon kann man doch wirklich Abstand halten, ohne sich was zu vergeben (kommt ins Teilnehmer-Beschwerdebuch).




Bei Kilometer 33 hab ich´s dann gewagt. Heike, die mich gut kennt, frägt, als offenbar so ein gewisses Funkeln in meine Augen kommt: „Willst Du jetzt anziehn, Du Trotzkopf?“ „Klar“, sage ich, „Du weißt doch: einer muß es ja machen“. Und mit diesem Satz mich selber mental dopend reisse ich dann eine Lücke zwischen dem Berliner und mir auf. Damit der mal sieht, was Sache ist. Hab rasch zehn, zwanzig, bald fünzig und bei Kilometer 35 auch über 100 Meter Vorsprung rausgelaufen. Ich liebe klare Verhältnisse!




Aber jeder Spurt hat seinen Preis. Das merke ich auf den kommenden Kilometern. Irgendwie hat mir noch träumerisch vorgeschwebt, wie es ist, wenn ich unter 4 Stunden ins Ziel komme. Aber bald siegt der Realist in mir, ich mache einen guten, befreiende neuen Plan: „Besser als in Springe wirst Du allemal sein und das ist das Ziel - also sei zufrieden“. Ich kehre also ganz freundlich und ohne Gesichtsverlust zu den vertrauten 6 Minuten für 1000 Meter zurück, so dass ich die Kilometer 36, 37, 38 auch gut überstehe. Das ist eine gute Entscheidung, mental wie physisch. Ich erhole mich beim langsameren Tempo.




Denn jetzt geht es doch ans Eingemachte. Bei weitem nicht so schlimm wie in Springe, nie hab ich irgendwann das Gefühl, das schaffst du nicht. Nie muss ich gehen oder denke überhaupt an so was. Aber auf der Kraftskala sind es jetzt nur noch die letzten 10%, die zur Verfügung stehen. Der Tacho ist noch nicht auf Null wie in Springe, aber ich laufe doch schon im roten Bereich. Die Waden tun weh, die Energie nimmt ab, auch etwas mentale Dysmotivation will ich nicht leugnen.




Dann lenke ich mich nochmals mit Berechnungen ab: Wenn du die letzten drei, vier Kilometer in 6 Minuten läufst, was gibt das für eine Endzeit? Und noch ein anderes Auto-coaching hilft: Ich stelle mir meine tausendfach vertraute Trainingsstrecke zu Hause vor, wo dort der Kilometerpunkt 3, 2, 1 ist. 




Heike radelt neben mir, gibt mir zu trinken und beruhigt mich (meine Hauptsorge...!), dass der Abstand zum Berliner immer noch 100, ja jetzt vielleicht schon 120 Meter sei.




Das motiviert mich sogar, noch den Abschnitt von Kilometer 39 auf Kilometer 39,5 in einem Zwischenspurt (!) anzugehen, müssen wohl so 2:30 Minuten für diese 500 Meter gewesen sein. Später wird sich zeigen, dass ich die zweiten 21 Kilometer zwei Minuten schneller als die ersten gelaufen bin. Also das geht doch noch, sage ich in mich hineinlachend = „Marmor, Stein und Eisen bricht, aber unsere Liebe nicht“.




Und dann, dann, endlich kommt um die Kurve herum die letzte Kanalbrücke in Sicht, die allerletzte Brücke, meine End-Brücke, die Brücke aller Brücken. Heike friert so, dass sie schneller losradelt.




Das Kilometer-Schild 40 wird in 3:55 Stunden passiert. Aber ich weiss, vor der Brücke geht’s noch mal hinauf (!), die einzigste Steigung auf dieser Strecke. Scheisse. Aber der Berliner ist noch gut hinter mir. Heike macht von der Brücke hoch über mir ein Foto von mir. 





Also jetzt die Brückenböschung hinauf, ja: hinauf!, ich seh´ das letzte Kilometerschild „41“.




Jetzt nicht nachgeben, nicht nachlassen. Ich dreh mich unter Schmerzen um und seh´ das rote Trikot des Berliners durch meine feuchte Brille, aber noch beruhigend weit hinter mir. Nach der Brücke geht’s hinunter. Kurze Desorientierung, wo die Streckenführung zum Ziel ist. Da hinten, nach links, ruft Heike. Ja, da ist das Telefonhäuschen beim Start. Letzter Blick nach hinten: jaaaaa, der Berliner wird „das“ nicht mehr schaffen, wird mich nicht mehr packen. 





Fünf Minuten nach 19 Uhr zeigt die Uhr. Ich sehe die Ziel-Flagge vor mir. Ich befehle mir: Lächeln, spurten, die Uhr drücken. Sie zeigt 4:06:13. Phantastisch!

Was du immer schon mal über die EU-Krise wissen wolltest, aber nicht zu fragen wagtest





Heute ein eindrucksvolles brandneues Dossier in der print-FTD. 





Online-Version unter: http://www.ftd.de/politik/europa/:labor-europa-nbsp/50150710.html#z). 





Scharfsinnige Artikel, lustige cartoons und sehr einprägsame Statistiken. 





Die 2 Euro (!) heute am newsstand sind wirklich gut investiert, um mal profilierte engagierte Stimmen zur EU-Schräglage lesen zu können.





Und wer angesichts der kritischen Analysen den europäische Mut verliert, den trösten R.Leurs und M.Oden: "Sollte die EU auseinanderbrechen - halb so schlimm. Das kann ja mal passieren. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass sich schon viele an der diesem etwas schwierigen Kontinent versucht haben - und irgendwann gescheitert sind."  

















Ich glaube, heute nacht kann ich ich trotz Euro-Krise beruhigt einschlafen.

Die Schulden der Euro-Länder

Handelsblatt Online zeigt auf einer Datenstrecke, wie hoch die ausstehenden Anleiheschulden für jedes Land der Euro-Zone ist und welche Noten die Ratingagenturen für jedes Land vergeben.



Das untere Beispiel gibt die Daten für Irland: