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Inter-religiöser Dialog auf dem Prüfstand




Christoffer H. Grundmann: Beyond "Holy Wars"
Forging Sustainable Peace through Interreligious Dialogue – A Christian Perspective.
2014. Pickwick Publications. Eugene/USA. 204 Seiten. USD 24
Beyond “Holy Wars”In der Präambel der UNESCO findet sich der Satz: „Weil Kriege im Geist der Menschen entstehen, muss auch der Frieden im Geist der Menschen verankert werden.“ Dieser Satz könnte ein soziologischer Bezugsrahmen sein, Grundmanns Buch zu lesen. Dieser Satz meint: Nicht Waffen und Soldaten lassen Kriege entstehen, sondern Meinungen, Ideologien, Propaganda. Eine solche Ideologie ist die vom Heiligen Krieg, und ein Konzept, diese zu überwinden, ist der interreligiöse Dialog. Beides sind geläufige Begriffe, unter denen viel Unterschiedliches subsummiert wird. 



Christoffer Gru­ndmann (Professor an der Valparaiso University / USA) gelingt es in seinem Buch, ihnen zu neuen überzeugenden Bedeutungen zu verhelfen. Die äußerst sorgfältige intellektuelle Methode, mit der dies erfolgt, ist eindrucksvoll, verlangt aber auch allerhand Geduld und Zähigkeit beim Leser. Dankenswerterweise wird die Lektüre durch eine Vielzahl von instruktiven Graphiken des Autors unterstützt.  

Spätestens nach dem 11. September hat der interreligiöse Dialog Hochkonjunktur. Wer nicht, wie die Bush-Regierung auf die Terroranschläge seinerseits nun den Krieg gegen Terror beginnen wollte oder den Clash of Civilizations prophezeite, stellte sich zunehmend die Frage, wie eine religiöse Koexistenz der Religionen trotz Mißverstehen und Mißtrauen möglich wäre.

Das mag trivial klingen, aber Grundmann geht der Frage nach den Möglichkeiten des interreligiösen Dialogs sehr grundlegend, sozusagen von den Wurzeln aus, nach. Die wichtigste Voraussetzung eines solchen Dialogs ist für den Autor: Ehrlichkeit im Engagement der jeweiligen Religion. Es geht ihm also nicht um faule Kompromisse oder gedankenloses Abschleifen des religiösen Engagements derer, die miteinander in einen Dialog eintreten. Dieses Ziel vor Augen entfaltet Grundmann kapitelweise seine Argumentation.

Nachdem er sich zunächst in einem Kapitel der Frage widmet, warum Religion so gefährdet ist, für nicht-religiöse Zwecke instrumentalisiert zu werden, ist das nächste Thema „Friedliche Koexistenz“. Grundmann stellt klar, dass guter Wille allein dazu nicht reicht. Vielmehr sind kulturelle Toleranz und sprachliches gegenseitiges Verständnis von Nöten. Ob ein solches friedliches Miteinander gelingt, erweist sich besonders sinnfällig in Konflikten. Das Ende der Toleranz in solchen Konflikt-Situationen zeigt sich exemplarisch in den fatalen Kreuzzügen, die seinerzeit quasi „heilig“ gesprochen wurden und dem Termin „Heiliger Krieg“ im islamischen Kontext. Zwar weist der Autor dankenswerterweise und korrekt darauf hin, dass „jihad“ im Koran oft nur den persönlichen Kampf für ein gottgefälliges Leben meint. Aber angesichts von religiös motivierten Kriegen von islamischen Gruppen untereinander und gegen nicht-islamische Völker, hat sich der Begriff des jihad weit über den persönlich-religiösen Bereich fortentwickelt.

Da Krieg aber das Ende jeder sinnvollen konstruktiven Kommunikation darstellt, stellt sich die Frage, wie ein erfolgreicher Dialog auch zwischen unterschiedlichen Religionen möglich ist. Im vierten Kapitel seines Buches beschäftigt sich der Autor intensiv mit dem Wort- und Sinnumfeld des Begriffs Dialog, wobei Grundmann der interpersonellen Begegnung (exemplarisch in der Ich-Du-Philosophie Martin Bubers) die größte Relevanz für einen fruchtbaren Dialog einräumt. Monologisches Denken führt, zugespitzt formuliert zu mentalem Autozentrismus, während dialogisches Denken die Welt als ein Netzwerk von Eigen- und Fremdwahrnehmungen wahrnimmt.  

Im letzten Kapitel stellt Grundmann die zentrale Frage für sein Buch: Was kann ein genuiner Beitrag von Christen zum interreligiösen Dialog sein? Ein Beitrag, der mehr ist als bloße Koexistenz oder Freundlichkeit Fremden gegenüber? Bemerkenswerterweise plädiert der Autor hier nicht für ein Einebnen von Spezifika der christlichen Religion, sondern für eine Vertiefung! Glaubensspekulationen sind dabei nicht genug. Ein interreligiöser Dialog, auch wenn er gut gemeint ist, der die religiösen Unterschiede nur vorschnell und lasch einebnet, ist für Grundmann nur „theoretisches Schattenboxen“ und nicht geeignet, Spannungen zwischen den Religionen zu überwinden und somit auch keine Garantie gegen Geisteshaltungen, die schlimmstenfalls in „heiligen Kriegen“ münden.

Wie kann also ein interreligiöser Dialog gelingen, der in nachhaltiger Weise immun gegen Heilige Kriege ist? Wohlwollendes Vergleichen der Religionen ist nicht genug. Stattdessen präsentiert Grundmann drei Modelle: Das „Set Model“ entspricht Lessings Ring-Parabel. Es negiert Bewertungen der Religionen, aber es vernachlässigt dabei Tradition und Geschichte der einzelnen Religionen. Das „Cone Model“ berücksichtigt zwar religiöse Traditionen, ermöglicht aber religiöse Erfüllung nur für Personen, die an der Spitze des Kegels angelangt sind. Das „Plot Model“ ist das Modell des modernen religiösen Pluralismus, in dem keine der Religionen einen Vorrang zugesprochen bekommt, sei es durch Geschichte, Ursprung oder kultureller Entwicklung. Damit geht aber auch quasi die Abschaffung von Religion insgesamt einher.

Angesichts der Defizite dieser drei Modelle plädiert Grundmann für eine mutige Dekonstruktion des Dialogs in der Weise, wie er bisher geführt wird. Denn ein Dialog, in dem nur Konzepte präsentiert und Ideen ausgetauscht werden, wird scheitern. Ein Dialog neues Typs wird erst möglich, wenn die Beteiligten nicht von vorneherein wissen, wohin die Reise geht, sondern sich mit offenen Augen und Geduld auf den Weg machen und zu Beginn weder das Ziel noch die Dauer der Reise wissen. Die christliche Religion kann hier ihren spezifischen Beitrag dahingehend liefern, dass sie Gott als Menschen glaubt mit Leiden und Tod, aber dass dieser menschengewordene Gott auch den Tod überwunden hat. Und weil Jesus selber den Dialog als Prinzip in seinem Leben verwirklicht hat, sind Christen in besonderer Weise dazu aufgerufen, ihr Leben als authentische dialogische Existenz zu führen und andere dazu einzuladen. Nur Argumente und Diskussionen allein sind für ein christliches Leben nicht ausreichend, sondern ein konkretes Leben im Vertrauen auf die Verheißungen und Offenbarungen Christi.

Ein kühnes Buch, das auch gut gemeinte und wohlbekannte Auffassungen zum Zauberwort „Interreligiöser Dialog“ hinterfragt. Nicht ein Relativieren und Einebnen der religiösen Eigenheiten wird diesen Dialog voranbringen, sondern eine selbstbewusste Konkretion im Leben religiöser Menschen. Dazu lädt Christoffer Grundmann ein, und wer die Geduld hat, die bisweilen sehr detaillierte und profunde Argumentation des Autors nachzuvollziehen, wird mit einer neuen kreativen Perspektive für den interreligiösen Dialog belohnt.


Burkhard Luber

Dienstag


Buchdeckel „In Rente“

Wolfgang Prosinger: In Rente. Der grösste Einschnitt unseres Lebens. 
Rowohlt Verlag. 2014. 240 Seiten. 19.95 Euro

“Silver Ager”, “Die jungen Alten”, “Das Beste kommt mit 60” - solche und andere ähnliche Wohlfühl-Worte umschmeicheln die Generation 60 plus. Sie kommen mit so viel Reverenz dem Alter gegenüber daher, dass man es fast kaum noch erwarten kann, endlich dort zu sein, wo die große Freiheit beginnt: Am Beginn der Rente.

In seinem gleichermaßen nüchternen wie einfühlsamen und gut recherchierten Buch stellt sich Prosinger dezidiert gegen diesen Euphemismus. In seiner Geschichte lässt er uns an den Gedanken, Empfindungen und Leiden seines Protagonisten Thomas Hecker teilhaben - vor und nach dessen Rentenbeginn. Erfrischend realistisch ist dieses Buch und Prosingers Schreibstil. Es geht hier sehr wirklichkeitsnah zu, sei es im Wartebereich bei der Rentenversicherung, beim Abschiedsessen mit den Kollegen im Betrieb oder bei der Eskalation in der Beziehung zwischen Hecker und seiner Partnerin, die seinen Rentner-Abturz in die Bedeutungslosigkeit nicht versteht.

Aber Prosingers Buch geht über den Tagebuchstil, der das Drama eines Lebens, das sich von einem Tag auf den anderen verändert, hinaus. Immer wieder flicht der Autor harte unangenehme Fakten aus der deutschen Demographie ein. Dabei verknüpft Prosinger sehr geschickt solche soziologischen und politischen Präsentationen zur allgemeinen Rentenproblematik ganz eng mit dem Alltag und den persönlichen Reflexionen des konkreten Rentners Hecker. Hier wird nicht abstrakt belehrt, sondern statistische Informationen nehmen in einem einzelnen Menschen anschauliche Gestalt an. 

Und auch da bleibt der Autor erfreulicherweise nüchtern: Ohne zu beschönigen schildert er, wie der Journalist Hecker zwar längst, bevor er 65 Jahre alt wird vom Ende des Generationenvertrages, von Altersarmut und der Instabilität von Riester-Renten gelesen hat. Aber erst jetzt, als Hecker seinen Rentenbescheid in den Händen hält, werden solche Informationen real. Unangenehm real: Mit 1060 Euro brutto von der DRV weiß Hecker, dass er sich von mancherlei Liebgewordenen trennen muss: von seinem Auto, seinen Zeitungsabonnements, seinen Reisen und Restaurantbesuchen. Und er weiß zugleich (was ihm Zufallsgespräche mit anderen Rentnern, die nur die sog. Grundsicherung erhalten, bestätigen), dass er mit diesem Auszahlbetrag noch zu den Privilegierten gehört. Aber auch andere Themen wie die Geschichte der Arbeit, der Umgang mit dem Alter in früheren Zeiten und die zunehmende Altersarmut verknüpft Prosinger nahtlos mit dem persönlichen Verrentungs-Schicksal Heckers.

Das Buch liest sich flüssig, bisweilen richtig spannend, zum Beispiel wenn man neugierig wird, in welche faktischen oder psychologischen Untiefen Hecker in seinem Rentner-Schicksal wohl noch kommen wird. Das Schicksal eines Mannes “ohne Arbeit und ohne Plan”. Prosinger beschreibt die einzelnen Stationen von Heckers Abstieg mit gutem klaren Blick: Die Angst in den Gesichtern der Antragsteller bei der DRV, Heckers Schreck über den niedrigen Rentenbetrags-Bescheid, die notwendige Umstellung vom eiligen Stundenrhytmus in nun so zäh fließende Tage und Wochen (Hecker zu sich selber: “Langsam, du musst gegen die Zeit arbeiten, du hast zuviel davon”), das immer stärkere Denken in der Vergangenheit, die Stille, das Anschalten des Fernsehers schon am Vormittag,  Langeweile, die Erkenntnis welch eine Droge die Arbeit für Hecker war, die Leere, der Alkohol, das Denken an den Tod, die Einsamkeit, schließlich die Beziehungskrise.

Und die vielen Lügen! Man könnte das Buch sogar entlang der Kategorie “Renten-Lügen” lesen: Die Lügen in der Sprache (“Silver Economy”, “Best Ager”, “Oldies sind Goldies”), die Lügen der Politiker (“die Renten sind sicher”), die Lügen der Rentner untereinander (wie wundervoll Leben ohne Arbeit ist), die Lügen der Verabschiedung (“du bist unersetzbar”), die Lügen gegenüber der Partnerin (“es geht mir prima”) und schließlich das Sich Selber Belügen.
Mit seiner Kombination von guten soziologischen und politischen Überlegungen zum Alter und zur Rentenentwicklung zusammen mit einer einfühlsamen Rentner-Biografie, in der dieser Lebensabschnitt jenseits von Zahlen und Beschönigungen sehr, bisweilen sogar erschreckend, konkret wird, ist Prosinger ein hervorrangendes Buch gelungen. Und das Buch endet mit einer schönen Wendung, die hier nicht verraten werden soll, außer mit dem Zitat: “Ich glaube, dass ich das jetzt besser kann mit dieser verfluchten Rente”.

Burkhard Luber