Dienstag

Warum Ethik im Kapitalismus nicht hilft

Replik auf den Vortrag von Prof. Hermann Sautter (Universität Göttingen) "Moral und Wirtschaft: zwei Welten?" am 13.5.10 in Bursfelde =  http://docs.google.com/View?id=ddtw99b5_388dkhjwzg7


Sautters Argumentation ist eine starke Zumutung. Dass er in einer Zeit, wo das Versagen des Kapitalismus evident wird wie nie zuvor (als guter Schüler von Karl Marx, der seit der Wiedervereinigung ja schon verfemt war und meines hochverehrten akademischen Lehrers Niklas Luhmann freue ich mich, dass ich das noch vor meinem Tod erleben darf), auf diese globale Pleite gerade mal mit neun mickrigen nichtssagenden Zeilen eingeht, darüber kann ich nur den Kopf schütteln.



Dass Sautter Niklas Luhman, einer der brillantesten Denker unserer Zeit, als virtuosen Zyniker diffamiert, ist schon blamabel genug. Aber in Sautters Argumentation fällt diese Etikettierung auch direkt auf ihn zurück. Sautter hat Luhmann offenbar überhaupt nicht genügend bzw. richtig gelesen. Exakt das, was wir in diesen Wochen erleben = die rein öffentlichkeitskosmetisierende, ebenso hektische wie folgenlose Betriebsamkeit der PolitikerInnen, mit immer neuen aberwitzigen angeblichen "Rettungs"paketen den Kapitalismus erfolglos zu reglementieren zu versuchen (natürlich alles auf Kosten der Armen, RentnerInnen, HartzIV-Empfängerinnen und derer, die - im Gegensatz zu Griechenland - brav ihre Steuer zahlen), zeigt ja gerade - so alles bei Luhmann nachzulesen, wenn man es sorgfältig macht - dass die Politik völlig unfähig ist, irgendwas Entscheidendes in der Wirtschaft zu regeln.

 
Statt dessen bleibt es beim sattsam bekannten Schema: Gewinne (sei es Immobilien, Derivate, Spekulationsgeschäfte) werden (im Funktions-System Wirtschaft) privatisiert, Verluste werden (im Funktions-System Politik) über gigantische Schuldenaufnahmen, die jetzt munter und bedenkenlos angeworfene Notenpresse mit entsprechender Inflation, demnächst über Steuererhöhungen und Kürzungen von Sozialleistungen und Renten und am Schluß über Geldabwertung und Währungsreform, sozialisiert. Und die Spekulanten machen dabei munter mit:




Ich frage mich wirklich, wo S. eigentlich lebt mit seinem recycling längst unbrauchbarer Appelle an die sog. "Einsicht", den sog. "Guten Wille", die sog. "Moral" und "Ethik" im Kapitalismus und den sattsam bekannten, längst abgefrühstückten und folgenlosen Sentenzen wie "seid lieb miteinander" und "vertragt euch doch bitte". Wirtschaftsmanager werden doch schon längst nicht mehr dafür eingestellt, gut zu wirtschaften sondern allein nach dem Kriterium, wieviel ArbeitnehmerInnen sie in möglichst kürzester Zeit entlassen können. Manchmal kommt es mir bei der Lektüre des Sautterschen Essay so vor, als ob der Autor schon seit geraumer Zeit nur noch das Göttinger Tageblatt und nicht mehr Financial Times, Washington Post, Le Monde, New York Times etc. liest, wo die gegenwärtige europäische Wirtschaftspleite glasklar und schonungslos analysiert wird und nicht mit dem sonst üblichen Schönreden und Zukleistern der Wahrheit.



Wenn Sautter mit dem intellektuellen Schrotthandel von Ethik und Moral hausieren geht, dann merkt man doch bereits am Ausgangspunkt der gegenwärtigen Katastrophe, wie diese Kategorien völlig an der Realität vorbeigehen. Als ob der griechische Staats-Bankrott mit irgend einem Satz von Kant oder anderen sog. "Ethikern" hätte verhindert werden können. Die unzähligen griechischen SteuerhinterzieherInnen, die umfassende Korruption in der griechischen Gesellschaft, das maßlose griechische deficit spending, wo Immobilien- und sonstige SpekulantInnen im sicheren Schatten des Euro ihre garantierten Profite machen konnten, die sie dann alsbald in gut geschützte offshore tax heavens transferierten; eine griechische Gesellschaft mit einer unfassbaren Militarisierung, die man nur fassungslos zur Kenntnis nehmen kann - dem allem mit "Ethik" und den üblichen moralischen Beschwörungsformeln beizukommen - das halte ich wirklich für so naiv, dass ich nur den Kopf darüber schütteln kann.



Wenn Sautter wirklich so an die Heilmittel von Ethik und Moral glaubt, dann sagt er hoffentlich auch seinen Kollegen an der Athener Universität und in der griechischen Kirche, was eigentlich in Griechenland längst "ethisch" (sic!) überfällig ist: ein ganz normaler Bankrott, Austritt aus der Eurozone, Wiedereinführung der Drachme. Dann können die GriechInnen sich mit den Sautterschen Ethikstandards als Leitlinien solide sanieren, ohne mirnichts dirnichts auf die Zahlungen von uns, an deren Misere völlig schuldlosen deutschen und französischen SteuerzahlerInnen zu spekulieren und uns unser mühsam erspartes Geld aus der Tasche ziehen. Dass Berlin und Paris jetzt genau umgekehrt gehandelt hat = unsinnige sog. "Rettungs"milliarden in ein Faß ohne Boden zu pumpen - darüber freuen sich nur die nächsten Bankrottkandidaten aus der PIGS-Gruppe: Portugal, Irland, Spanien.



Das griechische Wirtschaftsdesaster war doch kein Tsunami oder Erdbeben sondern wurde seit langer Zeit planmässig, z.T. illegal in Gang gesetzt. Diese Untaten nun auch noch mit Milliarden aus der Euro-Notenpresse zu belohnen und damit die anderen noch einigermaßen stabilen Euro-Länder auch noch ins Risiko zu stürzen, das ist, um die Sautter-Kategorien heranzuziehen (von denen ich, was den Kapitalismus angeht, überhaupt nichts halte) zutiefst
unmoralisch und unethisch.

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