Mittwoch

Ein Jahr "Unbequemer Blog" - ein Interview mit dem Blogger

(Dieses Interview führte freundlicherweise Walter Hogreve aus Hamburg)

WH: Ein Jahr “Unbequemer Blog” mit 1700+ Blogpostings und 45.000+ LeserInnen - feierst du das?
BL: Nein, aber ich denke schon mal über die zwölf ersten Blogger-Monate nach.

WH: Hast du dir mit deinem Blog-Start im Juni 2010 einen schon lang gehegten Plan erfüllt?
BL: Nein, ausser einem “Volontariat” bei der Schülerzeitung (lacht) hab ich in meinem letzten Job zwar einen “Transcontinental Newsletter” und den Digest “Grassroot Good News” herausgegeben. Aber unmittelbarer Anlass für den “Unbequemen Blog” war ein kirchennahes online-Forum, wo man mir als Gastkommentator quasi den Mund verbieten wollte. Da dachte ich: Schleunigst hier raus und einen eigenen Blog eröffnen. 


WH: Deine Thementag-Wolke zeigt deutlich, wo deine Blog-Schwerpunkte liegen.
BL: Ja, in den letzten Wochen hat sogar Griechenland die Euro-Krise überholt, obwohl ja beides unmittelbar miteinander zu tun hat. Aber die Griechenland-Misere war eben zeitgleich mit meinen ersten Blog-Postings und ist in all ihren Facetten bis heute vorherrschendes Blog-Thema geblieben.


WH: Es gibt Leute, die kritisieren deine mangelnde Griechenland-Solidarität und werfen dir regelrechtes Greece-Bashing vor.
BL: Solidarität ist für mich ein sehr kostbares Gut. Wenn das nicht so wäre, hätte ich nie so viel Motivation und Engagement für meine Arbeit mit den viele NGOs auf dem Balkan, im Kaukasus und in Afrika aufbringen können. Aber Solidarität darf nie eine Einbahnstrasse sein. Solidarität ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Und es ist makaber, wenn Leute aus der deutschen politischen Elite, die uns jetzt mit pathetischen Worten zur Solidarität mit Griechenland anhalten wollen, mehr oder weniger die gleichen sind, die wider besseres wirtschaftliches Wissen Griechenland Zugang zum Euro verschafft haben, einen Zugang den Hellas, das darf man nie vergessen mit gefälschten Statistiken und gezinkten Wirtschaftsinformationen erschlichen hat.


WH: Das ist nun Vergangenheit. Was schlägst du für die Zukunft vor?
BL: Ich kann als wirtschafts- und finanzanalytischer Amateur keine ausgefeilten eigenen Konzepte vorschlagen. Aber wenn ich, und mein Blog zwingt mich dazu, meine jetzt einjährige Lektüre der internationalen presse (FT, FTD, Eurointelligence, Reuters, HB, El Pais und Le Monde) auswerte, sehe ich, dass sich die Zahl der Fachleute, die für ein Erhalt des Euro “koste es was es wolle” sind, und derjenigen, die für einen wohlgemerkt: geordneten und abgefederten Ausstieg Griechenlands aus dem Euroraum und der Einführung einer Neo-Drachme votieren, ungefähr die Waage halten. Die Argumente dejenigen, die gegen einen griechischen Euro-Verbleib sind, scheinen mir etwas schlüssiger, so ungefähr in der Weise, dass ein solcher Schnitt, wie immer schmerzhaft er sowohl für Griechenland als auch dessen Gläubigerstaaten auch sein mag, besser ist als immer wieder neue Rettungsmilliarden in eine prekäre griechische Wirtschaftszukunft zu investieren. Aber meine Präferenz ist mehr eine generelle Tendenz als dass ich schlüssig detailliert dafür argumentieren könnte. Eines ist mir allerdings durch die Tatsache, dass sich Befürworter und Gegner einer griechischen Währungsreform ungefähr die Waage halten, deutlich: Das Panikgerede von Schäuble und Co. entbehrt empirischer Grundlage, ist eher der Versuch, von uns SteuerzahlerInnen immer neue sog. “Hilfs”-Milliarden zu erpressen. Das ist unseriös.


WH: Wenn man deinen Blog liest, sieht es so aus, dass du neben deiner Kritik an Griechenland noch ein zweites “Feindbild” hast: die Bundeswehr.
BL: Das ist zunächst ein synchroner Zufall: Euro-Krise, Griechenland-Pleite, Bundeswehr-Reduzierung und Guttenberg-Skandal sind eben gesellschaftliche Schwerpunkte der vergangenen zwölf Monate gewesen. Aber weil ich selber mal Soldat war, in meiner wissenschaftlichen Arbeit über Abrüstung und Konversion viel gelernt habe, aber dennoch kein absoluter Pazifist bin, analysiere ich unsere Armee, ihre Strategie, Einsatzziele und Rüstungsprofil fortlaufend sehr kritisch. 


WH: Nach welchen Kritieren und mit welchem Ergebnis?
BL: Man sollte den abgedroschenen Slogan, dass Krieg nur die Ultima Ratio sein darf, viel ernster nehmen, als wie es die Feiertagsrednerinnen tun: Der Einsatz von Militär muss sehr genau definiert werden und darf immer - schon von Anfang an - nur begrenzten Zielen dienen (z.B. das Errichten von Flüchtlingskorridoren in Kriegszonen oder für das Befreien von Geiseln, wie es etwa in Srebenica durch die UNO-Soldaten leider gerade nicht erfolgt ist), und es muß von Anfang an eine transparente Exit-Option vorhanden sein. Beiden Kriterien genügen die meisten modernen Militäreinsätze überhaupt nicht. Stattdessen wird oft nach dem höchst zweifelhaften Argument operiert: Besser wir tun irgend etwas als dass wir gar nichts tun (Libyen). Und wenn man über Zeit merkt, dass das, was man tut, keinen Erfolg zeitigt, ist der Katzenjammer groß, weil niemand eine gute Exit-Strategie entworfen hat als man mit großem moralischen Pathos in den Krieg gezogen ist. Wie gering die rationale nüchterne Argumentationsbasis fürs Militär ist, zeigt übrigens auch die den Militäreinsatz begleitende Rhetorik, wo sich Politiker (wie zB Außenminister Fischer) nicht zu schade sind, sogar Auschwitz als Motiv für Militärinterventionen zu mißbrauchen.


WH: Mit gewisser Regelmässigkeit tauchen in deinem Blog auch Schachpartien auf. Sind die auch “unbequem”?
BL (lacht): Bestimmt sind sie counter-mainstream. Aus mühsamer, wenig origineller Materialverwertung mach ich mir nämlich überhaupt nichts und Elos (WH: Schachwertungspunkte) interessieren mich nicht. Die spannendsten Schachpartien sind für mich diejenigen, in denen “against all odds” wie das Englische so schön formuliert, mit Fantasie und Mut - möglichst trotz materieller Unterlegenheit - ein Gewinn ertrotzt wird. Deshalb liebe ich Pattstellungen oft mehr als Mattsituationen: Wenn alles schon verloren zu sein scheint, dennoch ein Remis zu erzielen.


WH: Schach als Spiegebild des Lebens?
BL: Etwas schon. Eine Lehre, dass auch in einer schlechten Situation mit Überlegung und Zähigkeit noch mancherlei erreicht werden kann. Und natürlich: dass kreatives (im Schach: sog. "positionelles") Denken durchaus materiellem Reichtum paroli bieten kann. Mit Erich Fromms Worten: “Sein” ist mehr wert als bloßes mehr Haben wollen.

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