Freitag

Angst vor der Abrüstung - der deutschen Militärindustrie schlottern die Knie

Stell dir vor, es wird abgerüstet

und keiner, weiß wie das geht!





Deutschland steht erfreulicherweise vor der größten Abrüstungsaktion in der an Aufrüstung so reichen Geschichte unseres Landes, und alle haben Angst davor.





Alle:

Der Altbundeskanzler und CDU-Ehrenvorsitzende Helmut Kohl, der die kühnen Armee-Reduzierungspläne des jetzigen Militärministers nicht wahrhaben will und verzweifelt an seine Partei appelliert, diese Reform nochmal zu überdenken. Wozu es allerdings wohl nicht kommen wird, zu sehr hat sich die CDU, die Koalition und die Kanzlerin hier bereits festgelegt.









Die Generäle, weil es deren sowohl im Ministerium als auch in der Armee viel zu viele gibt - ein offenes Eingeständnis auch unter höherrangigen Offizieren.





Die Garnisons-Bürgermeister, weil sie sich reichlich naiv auf einen ewigen Bestand der Kasernen in ihrer Stadt verlassen und versäumt haben, über die Konsequenzen von Abrüstung für ihre Städte nachzudenken. 

Nun geraten auch sie in den Focus des Militärministers: Die Belegungsdichte pro Standort muss erhöht werden; "Regionalpolitische Gesichtspunkte sind dabei nicht prioritär" (Guttenberg).





Die kommunalen Traditionspatenschaften mit der Bundeswehr: Sie werden überflüssig, wenn es keine Lagerfeuer-Kameradenromantik mit dem Garnisonspersonal mehr geben wird. 

Und sie müssen ihre schönen teuren Bundeswehr-Patenschaftsstandarten nach dem Abzug der Soldaten im Heimatmuseum abliefern.





Die Gewerkschaften, weil sie, anstatt ihre Rüstungsbetriebsleitungen energisch zu Produktionsdiversifikation und 

Konversionspläne zu drängen, lieber mit ihnen eine Kameraderie zugunsten höchst zweifelhafter Rüstungsexportplänen eingegangen sind.





Und nun auch die Rüstungsindustrie. Die Alarmglocken schrillen. Vielleicht hatten die Rüstungsbetriebe naiv gemeint, dass die Pläne von Guttenberg für das deutsche Militärprofil der Zukunft nur die Bundeswehrsoldaten beträfen. 





Jetzt wachen sie auf, als sie merken, es geht auch ihnen an den Kragen. Abrüstung ist nicht länger ein Thema friedenswissenschaftlicher Proseminare, sondern wird real. Für die Rüstungswirtschaft: bedrohlich real.





Mit dem Prüfbericht des Generalinspekteurs der Bundeswehr fürs Kabinett fing es an, der in dem vernichtenden Urteil gipfelte: Alle größeren Rüstungsprojekte sind laut Wieker "zu teuer, zu spät und nicht effizient" gewesen. 





Drastischer kann man wohl kaum formulieren. Noch nicht mal für den Afghanistankrieg der Bundeswehr konnte die Rüstungsindustrie bis heute angemessene Hubschrauber liefern.





Aber auch jenseits der grossen Rüstungsprojekte ist auch im normalen Alltag der Bundeswehr viel im Argen: Sicherlich braucht sie keine 17 (!) Fernmeldebataillone und keine teure Auslands-Ausbildung in den USA für immer weniger Tornadopiloten. Und dass in einem Bundeswehrfeldlager mit 1000 Soldaten nur 200 aktuell einsatzfähig sind, weil alle anderen 800 mit Sonderfunktionen belegt sind, zeigt, wie dringend unsere Arme entschlackt werden muss.





Dann kam das BMVg-Papier "Priorisierung Materialinvestitionen - Handlungsempfehlungen"wo verschiedene Rüstungsprojekte (manche noch in Planung, manche schon in der Auslieferung) als z.T. nicht 

bezahlbar, z.T. militärisch unsinnig evaluiert werden.









Kein Wunder, dass Guttenberg im Handelsblatt zitiert wird: "Wahrhaft groteske Verträge mit der Industrie sind die früher im Ministerium eingegangen". Das wird sich bald ändern, fürchtet zurecht die Rüstungsindustrie, denn Guttenberg ist seine "härtere Gangart gegenüber der Industrie" durchaus zuzutrauen, zumal er unter dem Druck steht, in den nächsten Jahren bei der Bundeswehr über 8 Milliarden Euro einsparen zu müssen.





Besonders den Rüstungskonzert EADS wird es treffen, denn er bestreitet die Hälfte aller Rüstungsbeschaffungen für die Bundeswehr. Aber auch Krauss-Maffei, Rheinmetall und Thyssen-Krupp müssen mit Auftragsreduzierungen rechnen.





Wer die deutsche Rüstungsindustrie näher kennt, weiß, dass diese Ängste nicht nur auf eine Pro-Bundeswehr-Haltung der Rüstungsindustrie zurückzuführen sind, sondern darauf, dass weniger Aufträge durchs BMVg auch ein erhebliches Schrumpfen des deutschen Rüstungseports bedeuten werden. 





Deutschland ist beschämenderweise der drittgrösste Rüstungsexporteur der Welt. 70% der deutschen Rüstungsproduktion geht ins Ausland: Aber: Was die Bundeswehr nicht als Erstabnehmer beschafft, hat keine Chance, exportiert werden.





Angesichts ähnlicher Rüstungsreduzierungspläne in anderen Ländern droht der deutschen Rüstungsindustrie ein regelrechte Dominoeffekt: 





Frankreich plant bis zu 5 Milliarden Euro bei seinem Militäretat einzusparen, Großbritannien gar satte 25%. Spanien und Griechenland sind als Rüstungsimporteure für deutsche Waffen bereits ausgefallen.





Damit wächst die Gefahr, dass die deutschen Rüstungbetriebe sich auch nach Rüstungsimporteuren umsieht, die mit den dann importierten Waffen fragwürdige Einsätze durchführen: Für expansive Militäraktionen gegen Nachbarstaaten oder zur Unterdrückung von Befreiungsbewegungen oder Minderheiten im eigenen Land.





Guttenberg sollte sich durch all diese Ängste und Widerstände nicht von seinen Abrüstungsplänen aufhalten lassen.





Es wird höchste Zeit:



  • dass aus einem drastisch schrumpfenden deutschen Militäretat endlich Geldmittel für wichtigere Staats-Aufgaben wie Bildung, Soziales und Umwelt freiwerden


  • dass Gewerkschaften in Rüstungsbetrieben statt Besitzstandswahrung zu propagieren phantasievolle Konversionspläne entwerfen und für ihre Umsetzung eintreten


  • dass Garnisons-Bürgermeister ernsthaft und nachhaltig über die Zukunft ihrer Städte ohne Bundeswehrpräsenz nachdenken

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